Rhein-Zeitung Koblenz vom 16.Juni 03

"Zeit kann diese Wunden nicht heilen"

Fachtagung von "Schotterblume" in Koblenz: Hilfe für Opfer, die in der Kindheit missbraucht wurden - Den Mantel des Schweigens herunterreißen

Es ist das Ende einer glücklichen Kindheit, wenn "es" passiert: Dass Eltern, Verwandte oder Bekannte auf einmal zu lieb zu dem kleinen Mädchen oder Jungen werden. Ein Verbrechen, über das oft der Mantel des Schweigens geschoben wird. Der Verein "Schotterblume" hilft Opfern und lud zur Fachtagung "Wir reden darüber" ins Contel-Hotel ein.

KOBLENZ. "Täter sagen ihrem Opfer oft: Wenn du redest, dann wirst du sterben", sagt Birte. Sie hat all das schreckliche Leiden am eigenen Körper erdulden müssen, schon ab dem vierten Lebensjahr. "Das Gegenteil ist richtig: Wer schweigt, der stirbt."

Sexueller Kindesmissbrauch sei Seelenmord, sagt Dagmar Minor, Gründerin der "Schotterblume". "Zeit kann diese Wunden nicht heilen." Dennoch könnte eine Therapie helfen, den Alltag zu überstehen. Und das Darüberreden, der Austausch mit anderen Opfern tue gut und helfe, Gefühle ordnen zu können.

"In den Medien werden leider nur spektakuläre Missbrauchsfälle erwähnt", so Dagmar Minor. Doch nach Schätzungen würden heute jedes dritte Mädchen und fast so viele Jungen sexuell missbraucht. Eine Furcht erregende Zahl. "Etwa zwanzig Prozent der Täter sind weiblich: die Mutter, die Tante etc." Viele glaubten es anfangs kaum, dass auch Mütter zu emotionalen und körperlichen Quälungen fähig seien.

Trotz Verdachts oder sogar Wissens werde oft nicht über solche Vorfälle gesprochen. "Und das Opfer ist hin- und hergerissen: Es liebt den Vater ja trotzdem!" Unter sexuellem Missbrauch verstehe man nicht alleine die durchgeführte Penetration. Kinder werden erniedrigend fotografiert oder gefilmt, verkauft, gefoltert, sexuell stimuliert. "Menschen, die so etwas tun, sind keine Psychopathen oder Geisteskranke. Es sind normale Leute, denen man es nie zutrauen würde." Es müsse nicht einmal Gewalt im Spiel sein, oft würden das natürliche Vertrauen sowie der Respekt des Kindes schamlos ausgenutzt.

Wo die Grenze zwischen gesundem Schmusen und liebevoller Zärtlichkeit auf der einen Seite und Missbrauch auf der anderen Seite anzusiedeln sei? "Missbrauch entsteht nicht fließend", so Dagmar Minor. "Er beginnt dann, wenn sich Jugendliche oder Erwachsene bewusst am Kind befriedigen." Missbrauch sei vom Täter geplant.

Die Folge von Missbrauch sei eine schwere Verwirrung der kindlichen Gefühle. "Es verliert die Geborgenheit und das Vertrauen in die Welt." Traumatische Spätfolgen seien unvermeidbar. "Zunächst wird das Geschehen schockhaft vergessen und verdrängt. Das ist ein gnädiger Schutzmechanismus der Seele."

Doch die Erinnerung sei eine Zeitbombe, die durch Therapie entschärft werden müsse, wenn sie nicht irgendwann gewaltsam explodieren solle. "Eine andere Reaktion ist auch, dass sich die Seele des Kindes gleichsam vom Körper abspaltet und ihn als Hülle zurücklässt."

Übersehen werde oft, dass auch viele Jungen Opfer von Missbrauch würden. "Gerade für Jungen und Männer ist es auf Grund unserer Erziehung schwer, jemanden um Hilfe zu bitten und über ihre Gefühle zu reden."

Ein alltägliches Verbrechen; und "Schotterblume" fordert eine Zwangstherapie für gefasste Triebtäter. "Man muss die Täter so früh wie möglich therapieren", so Minor. Auch Jugendliche, bei deren "Doktorspielen" man eher noch ein Auge zudrücke, seien gefährlich.

Willi Rath, Sozialpädagoge: "Wenn ich den Verdacht habe, dass in meiner Umgebung ein Kind sexuell missbraucht wird, sollte ich auf jeden Fall zunächst zu einer Beratungsstelle gehen." Ob Schotterblume, Caritas oder Kinderschutzbund - wichtig sei das Gespräch mit einer Fachperson. Denn ein Vater oder eine Tante dürften auf keinen Fall ungerechtfertigt verdächtigt werden. "Wir dürfen auch die Seele des Kindes nicht noch mehr zerstören." Behutsam und bedacht müsse vorgegangen werden. "Und man sollte ruhig dem eigenen Instinkt trauen." Michael Defrancesco

Schotterblume e.V., E-Mail: info@schotterblume.de.

Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz Stadt vom 16.06.2003, Seite 11.


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