SPD und Bündnisgrüne wollen Sexualstrafrecht fortentwickeln

Berlin: (hib/MAP)
Ein gemeinsamer Gesetzentwurf von SPD und Bündnisgrünen (15/350) sieht vor, das geltende Sexualstrafrecht fortzuentwickeln. Die Fraktionen beabsichtigen Veränderungen im Allgemeinen und Besonderen Teil des Strafgesetzbuches (StGB) sowie in der Strafprozessordnung (StPO). Dem Entwurf zufolge sollen im Besonderen Teil des StGB unter anderem bestehende Strafrahmen, beispielsweise bei sexuellem Missbrauch von Kindern und widerstandsunfähigen Personen, angehoben werden. Des Weiteren sollen die Strafrahmen "minder schwerer Fälle" bei den genannten Delikten gestrichen werden. Es heißt, die Strafrahmen würden dem Unrechts- und Schuldgehalt dieser Taten nicht in allen Fällen gerecht. Die Abgeordneten wollen weiterhin neue Tatbestände einführen. So soll der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne körperlichen Kontakt erweitert werden. Dem Entwurf zufolge macht sich dann auch derjenige strafbar, der durch Schriften auf ein Kind in der Absicht einwirkt, es zu sexuellen Handlungen zu bringen, oder wer ein Kind für Taten des sexuellen Missbrauchs anbietet oder nachzuweisen verspricht. Darüber hinaus soll es künftig auch strafbar sein, wenn geplanter sexueller Missbrauch von Kindern nicht angezeigt oder nach der Tat oder nach strafbarem Versuch belohnt oder gebilligt wird. Zum Allgemeinen Teil des StGB wird vorgeschlagen, dass auch beim Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen die Verjährung bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers ruhen soll. In der StPO ist vorgesehen, die Möglichkeiten der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen (DNA-Analyse) auszuweiten. Die DNA-Analyse sei inzwischen zu einem wichtigen rechtsmedizinischen Erkenntnismittel insbesondere auch im Bereich der Aufklärung von Sexualstraftaten geworden, argumentieren die Abgeordneten. Das geltende Recht erlaube diese nur unter "zu engen" Voraussetzungen, heißt es.

Herausgeber: Deutscher Bundestag * Pressezentrum

Interview mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries

Schärfere Strafrechtsnormen gegen Gewaltverherrlichung und Kinderpornographie im Internet und bei sexuellem Mißbrauch Das Gespräch wurde in Berlin aufgezeichnet.

Interviewerin: Irmela Hannover

Hannover: Frau Ministerin, Sie haben angekündigt, hart gegen Gewaltverherrlichung und die Propagierung von Gewalt vorgehen zu wollen. Was heißt das konkret? Haben Sie dabei insbesondere das Internet im Auge?

Zypries: Wir wollen vor allen Dingen das Recht da anpassen, wo sich die Lebenswirklichkeit verändert hat. Das Internet ist ein neues Medium, das leider auch dazu benutzt wird, Straftaten zu begehen. Deshalb müssen wir im Bereich der Gewaltverherrlichung und der Verbreitung von Kinderpornographie die Strafnormen entsprechend anpassen. Sie stammen ja aus einer Zeit, als man sich das Internet noch gar nicht vorstellen konnte.

Hannover: Welche Schwerpunkte sollen dabei im Vordergrund stehen?

Zypries: Wir werden schärfer gegen Kinderpornographie vorgehen. Die Strafvorschriften wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften verbessern wir, um solchen Machenschaften vor allem im Internet besser entgegentreten zu können. Dabei müssen wir auch die Aktivitäten geschlossener Nutzergruppen im Internet, sogenannte Peer Groups strafrechtlich sanktionieren. Dort werden Daten, Fotos und Filme ausgetauscht, dort wird gehandelt. Das müssen wir unterbinden. Und, wir wollen die Eltern stärker mit in die Verantwortung nehmen. Heute ist es noch immer zulässig, dass Eltern ihren Kindern pornographische Filme zeigen, in denen Menschen zum bloßen Objekt sexueller Begierde herabgewürdigt werden. Generell ist strafbar, wer solche Filme Minderjährigen zeigt. Ich sehe keinen Grund, weshalb ein Erwachsener nur deshalb straflos bleiben soll, weil der Minderjährige sein eigenes Kind ist. Deshalb werden wir diese Privilegierung von Eltern abschaffen.

Hannover: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen soll zukünftig also als Verbrechen und nicht mehr nur als Vergehen eingestuft werden. Das heißt der Strafrahmen wird erhöht. Aber auch sogenannte „Wegseher“ und „Profiteure“ sollen in Zukunft strafrechtlich belangt werden können. Was ist damit gemeint?

Zypries: Nicht nur derjenige, der sich selbst an Kindern vergeht, verdient Strafe. Künftig werden auch diejenigen, die wegsehen oder von solchen widerwärtigen Straftaten profitieren, nicht mehr ungeschoren davon kommen. Wer sexuellen Missbrauch von Kindern nicht anzeigt, ihn belohnt oder billigt, wird sich künftig vor dem Strafrichter wiederfinden.
Von einer solchen Regelung geht ein eindeutiges Signal aus: Jeder – gleich ob Familienmitglied, Nachbar, Lehrer, Übungsleiter im Verein oder Aussenstehender - muss hinsehen und wenn nötig eingreifen oder Anzeige erstatten und damit den Missbrauch verhindern. Ich will, dass die Menschen sich sagen: da muss ich hingucken.

Hannover: Ein neues Gesetz, ein neuer Paragraph ist das Eine. Das Problem beginnt in aller Regel aber doch in der Praxis?

Zypries: Ja sicher, Gesetze zu erlassen allein hilft nicht. Man muss sie konsequent anwenden, aber auch alle Anstrengungen unternehmen, Straftaten vorzubeugen. Im Kampf gegen Kinderpornograhpie zum Beispiel surfen Beamte des Bundeskriminalamts mit großem Erfolg im Internet, um in chatrooms Täter aufzuspüren. Solche Maßnahmen müssen wir ausbauen, um die Täter dingfest zu machen. Das ist das Eine.
Andererseits geht es auch um die Signalwirkung von Gesetzen. Wir haben festgestellt, dass solche Gesetze auch das Bewusstsein verändern. Ich erwarte, dass durch die Debatte um die geplanten Gesetzesänderungen für alle deutlicher wird, dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist.

Hannover: Forderungen nach schärferen Gesetzen sind gerade dann besonders populär, wenn Fälle von sexuellem Mißbrauch oder - wie in diesen Tagen - Sexualmorde von den Gerichten abgeurteilt werden sollen. Die meist gehörte lautet: Lebenslang wegsperren.

Zypries: Da muss man differenzieren. Ein Mörder wird mit lebenslanger Haft bestraft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aber selbst die "lebenslängliche" Freiheitsstrafe eine solche, die nach 15 Jahren überprüft werden muss. Der Straftäter darf nur dann vorzeitig aus der Haft entlassen werden, wenn die Schwere der Tat dies rechtfertigt. Sonst bleibt er weiter in Haft, möglicherweise bis an sein Lebensende. Auch wenn der Täter beispielsweise wegen eines psychischen Defekts auf richterlichen Beschluss in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde oder wegen der besonderen Gefährlichkeit Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, bleibt er möglicherweise auch noch nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe hinter Schloss und Riegel. Es gibt Fälle, bei denen dürfen wir es nicht darauf ankommen lassen. Das heißt dann im Zweifel auch wirklich lebenslänglich.

Hannover: Nun geht es aber auch darum, solche Leute auch im Nachhinein - wenn sie ihre Strafe abgesessen haben - noch weg zu sperren?

Zypries: Da muss man unterscheiden. Bis vor einem Jahr galt, dass der Richter im Strafurteil darüber entscheiden musste, ob der Täter nach Verbüßung seiner Haftstrafe freikommt oder wegen der besonderen Gefährlichkeit im Anschluss in Sicherungsverwahrung kommt, also weiter hinter Schloss und Riegel bleibt. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung das Gesetz dahin gehend geändert, dass auch eine sogenannte vorbehaltene Sicherungsverwahrung möglich ist. Das bedeutet , wenn der Richter zum Zeitpunkt des Urteils noch keine ausreichenden Erkenntnisse für die besondere Gefährlichkeit hat, kann er jetzt die spätere Sicherungsverwahrung vorbehalten. Dann prüft der Richter erneut, bevor der Straftäter nach Verbüßen der Strafe auf freien Fuß gesetzt wird, er schaut sich vor allem an, wie sich dieser Mensch im Gefängnis entwickelt hat. Mit diesem zusätzlichen Wissen entscheidet er dann, ob Sicherungsverwahrung anzuordnen ist oder nicht.

Hannover: Was wollen Sie gegen brutale Gewaltdarstellungen zum Beispiel bei Video- oder Internetspielen unternehmen?

Zypries: Wir haben einen Paragraphen im Strafgesetzbuch, der Gewaltverherrlichung unter Strafe stellt. Nach dem geltenden Wortlaut umfasst er heute nur Zeitschriften, Bücher, Tonträger und Filme. Den Geltungsbereich müssen wir auf die modernen Medien, das Internet ausweiten. Bislang machten sich Eltern, die ihren Kindern solche gewaltverherrlichenden Filme überlassen haben, nicht strafbar. Das werden wir ändern, weil die Eltern ihre Erziehungsverantwortung in diesem Bereich wahrnehmen müssen und nicht ungestraft ihren Kinder solche Produkte überlassen dürfen.
Wir werden klarstellen, dass nicht nur die Verherrlichung von Gewalt gegen Menschen, sondern auch gegen menschenähnliche Wesen strafbar ist. Die Strafbarkeit darf doch nicht davon abhängen, ob es sich bei der Darstellung um einen Menschen oder einen beispielsweise durch spitze Ohren verfremdeten, dennoch menschenähnlichen Außerirdischen handelt.