Wie kann ich selber merken, ob ich davon betroffen bin? Heißt Borderline, daß ich verrückt bin?

Frage:

Hallo Peter,

ich gehöre zu den Leuten, die gar nicht wissen, ob tatsächlich ein Mißbrauch vorliegt. Aus irgendwelchen Gründen fesselt mich dieses Thema aber sehr und ich beschäftige mich ständig damit - besuche z.B die Schotterblume-Seiten, lese entsprechende Bücher etc.

Von jeher werde ich von unerklärlichen Ängsten geplagt:
Ich habe Angst vor Türen, die spaltweit offenstehen. Ich kann nicht mit dem Rücken in den offenen Raum sitzen, weil ich ständig denke, es schleicht sich jemand heran.
Dunkelheit macht mich wahnsinnig. Alleinsein kann ich abends überhaupt nicht - das geht nur, wenn ich mich in eine Decke gehüllt habe und hinter mir eine Wand ist, so daß ich den Raum überblicken kann. Ich habe Angst vor Augen. Das geht soweit, daß ich nicht in den Spiegel sehen kann, wenn ich alleine bin oder Zeitungen umdrehen muß, auf denen Personen so abgebildet sind, als würden sie einem mit ihrem Blick folgen. Als Kind war ich ein "Schaukelkind". Ich konnte nur einschlafen, wenn ich mich bis zur Erschöpfung in den Schlaf geschaukelt habe. Ich hatte damals Angst vor "dem schwarzen Mann mit dem Messer", der mir das Ohr abschneiden will. Dabei ist mir nicht bewußt, daß ich jemals so jemanden gesehen hätte. Außerdem plagt mich eine ausgeprägte Spinnenphobie. Niemand darf meine Fußgelenke umfassen oder meine Knie berühren - beides macht mich wahnsinnig.

Ansonsten habe ich mein Leben gut im Griff. Ich habe einen Beruf gelernt, studiere jetzt, habe zwei Kinder und bin seit drei Jahren verheiratet. Trotz allem fühle ich mich oft einsam.

Eine Therapie wegen der Ängste hatte ich begonnen, aber nach einem halben Jahr wieder abgebrochen, weil ich das Gefühl hatte, daß mir nicht wirklich geholfen wird. Der Therapeut brachte das Mißbrauchsthema ein und vermutete eine Borderline-Störung. Was ist das ganz genau? Ich habe gelesen, es handelt sich um eine Störung, die irgendwo zwischen Neurose und Psychose liegt. Allerdings kann ich mit beiden Begriffen nicht ganz viel anfangen. Wo ist denn der Unterschied? Und, wenn ich sowas hätte, würde das nicht auch meinem Umfeld - zumindest meinem Mann - auffallen? Bis auf einige Wutausbrüche, die ich manchmal nicht kontrollieren kann und Störungen im sexuellen Bereich (Aggressionen, Abscheu, "heulendes Elend"), die ihn irritieren, ist ihm an mir nichts "verrücktes" aufgefallen? Heißt Borderline, daß ich verrückt bin? Wie kann ich selber merken, ob ich davon betroffen bin? Nach welchen Hinweisen müßte ich suchen? Und wie soll ich nun weiter verfahren? Wie gesagt habe ich die Therapie damals abgebrochen - soll ich es woanders noch einmal versuchen?

Halten Sie einen Mißbrauch für möglich? Wie kann ich Gewißheit erlangen?

Ich könnte noch viele viele Fragen stellen, möchte es aber bei diesen belassen, da das auf jeden Fall die sind, die mir am meisten unter den Nägeln brennen.

Vielen Dank im voraus für Ihre Antwort!

Mit freundlichen Grüßen,

Astrid


Meine Antwort:

Hallo Astrid,

für "unangemessene" Reaktionen gibt es viele Auslöser, auch können (-wiederholte-) traumatische Erlebnisse in der Kindheit zu "überzogenen" Reaktionen führen, - falls deine Reaktionen dementsprechend unangemessen zu werten sind. Gleichermaßen würdest du dich weiterhin in ähnlichen Situationen sicherlich ähnlich verhalten, falls es nicht zu einer Entwicklung mit anderen (angepaßteren) Verhaltensmöglichkeiten in deinem Leben geführt hat.
In deiner Geschichte scheint es ja Anlass für dein Verhalten zu geben, du wirst offensichtlich einiges erlebt haben (Schaukelkind, Angst vor Dunkelheit im Raum, Träume vom Mann mit dem Messer, ...).

In meinem therapeutischen Alltag erlebe ich, dass sich Kinder in scheinbar uneindeutigen (oder in besonders eindeutigen) Situationen, vor allem wenn sie angstbegleitet erlebt werden, sich nicht nur hineinsteigern können, sondern unter diesen Erlebnissen massiv Leiden und dieses Erleben ggf. von sich abspalten. Grund für dieses Verhalten liegt oft in der Gleichgültigkeit von Erwachsenen, die diese Erlebniswelt der Kinder nicht erkennen, dabei sogar noch mit Wiederholung drohen oder schlimmeres heraufbeschwören. Diese psychische Gewalt kann ähnlich wie sexueller Mißbrauch traumatisierend wirken und gleichermaßen "krankmachenden" Einfluß haben.
Sexueller Mißbrauch ist eine der häufigsten Ursache für Verhaltens- und Erlebnisstörungen die zu einer Boderline-Symptomaik führen.
Borderliner leiden einerseits ähnlich wie Neurotiker an Angstzuständen (-ursächlich betrachtet), andererseits zeigen sich in ihrer Entwicklung abgespaltene (unbewußt-, nicht wahrgenommene-, ggf. auch verleugnete-) traumatische Erlebnissse und Verhaltensweisen die mit ihren Erlebnissen in Zusammenhang stehen. Dieses Abspalten dient dem Überleben und wird nicht oder nur in Bruchstücken erinnert, bzw. wie beim Neurotiker in Angstzuständen mit den resultierenden Verhaltensauffälligkeiten erlebt.
Ob du eine "Bordeline"-Persönlichkeit bist (d.Therapeut sprach von einer B.-Störung) kommt für mich einer Ferndiagnose gleich, die ich nicht stellen mag.
Es sprechen einige Symptome dafür, davor solltest du dich aber nicht fürchten.
Wir alle habe solche Symptome mehr oder weniger ausgeprägt, wie in einem Buch die unterschiedlichen Seiten. Manche deiner Seiten kommen weniger zum Vorschein, andere sind evtl. ständig im Vodergrund und lassen sich nicht wie die tragischen Seiten in einem Buch durch umblättern aus dem erlernten Alarmverhalten entfernen, das Erlernte liegt ja zurück wie die tragischen Seiten.
- Zu der klinischen Zuschreibung (ob jemand wirklich ein Neurotiker ist oder nicht) gibt es auch eine individuell (am jeweiligen Leidensdruck) orientierte Bezeichnung der Symptome. Diese bedient sich allerdings der klinischen Beschreibung, deshalb ist nicht jeder mit ähnlicher Symptomatik verrückt, bzw. akut behandlungsbedürftig. Es ist auch hier eine Frage des individuellen Leidensdruckes, ob du dich zu einer Therapie entscheidest, bzw. ob es für dich und deiner Familie vorteilhaft wäre, die "ein-oder-andere Buchseite" zu überarbeiten.

Für weiteres Interesse an der Borderlineproblematik empfehle ich folgende Internetseite:

http://kuckuck.solution.de/borderline.html,
die erklärt recht gut, besser könnt' ich's auch nicht.
Noch eine interessante Seite zur Bordelineproblematik aus Patientensicht:
http://www.mondstein-web.de

Mit freundlichen Grüßen

Peter

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