Muß der alte Schmerz in vollem Umfang wiedererlebt werden?

Frage:

Hallo Peter,
 
meine Therapeutin meint, dass es nötig ist, den alten Schmerz von damals wenigstens noch einmal in vollem Umfang durchleben muss, um ihn bewältigen zu können. Mir macht das große Angst und ich versuche in Situationen in denen ich mich auf die eine oder andere Art "erinnere" ständig den Schmerz so gut wie möglich wegzudrängen, weil ich ihn sonst einfach nicht aushalte.
Wie denkst Du darüber?
 
Viele Grüße von Susanne

Antwort:

Hallo Susanne,
 
ich kann gut verstehen, daß Dir die Erinnerungen an die Gefühle große Angst machen.
Mir würde es bei dieser Aussage zur Therapie im Bezug auf eine Heilung ähnlich ergehen.
Ich glaube allerdings nicht, daß Du alles in gleicher Intensität nocheinmal "durchleben" mußt, bzw. glaube ich, dieses "durchleben" wird jetzt anders sein. Vor allem hast Du deine Therapeutin an Deiner Seite, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, Dich in den Erinnerungen an den "alten Schmerz" zu begleiten und Dich zu schützen, gleichfalls auch stützen, bis Du Dich deinen Erinnerungen, deinem "alten Schmerz" und der nötigen Verarbeitung im Sinne einer Heilung stellen kannst.
Ich habe für mich ein Bild, in dem ein Therapeut die Wunden bespricht und fühlt, ganz vorsichtig eine Annäherung an die Verletzungen erfühlt, dabei nicht erneut aufreisst, auch wenn es sich anfangs aus der Angst im Umgang damit so ähnlich anfühlen mag. Du bist dabei die Hauptperson, die bestimmt, wie weit Du Dich in der Therapie vortrauen magst, wieviel Vertrauen Du Deiner Therapeutin geben willst, wenn ihr euch an den "alten Schmerz" annähert.
Das bedeutet jedoch nicht, Dich in Deine Erinnerungen zu stürzen, sie "in vollem Umfang" wieder zu erleben. Vielleicht liegt da ein Missverständnis in der Beschreibung von dem, was in einer Therapie passiert.
 
Es ist ein Unterschied, Dich für diese Annäherung stark genug zu fühlen, denn Du wirst in Deinen Erinnerungen im Bezug auf Dein heutiges Leben erkennen, was es bedeutet, und vielleicht entsteht darin eine Ahnung wie es Heilen kann.
Heute ist die Situation anders als damals, Du wirst Dich mit deinen Erinnerungen auseinander setzen, sichlich auch den Schmerz fühlen, es mit deiner Therapeutin zusammen fühlen, damit nicht allein sein, dieses Erleben wird "erträglicher" sein. Es geht dabei um eine Art "Aussöhnung" mit dir, mit deinen Fähigkeiten damals und heute, das dein heutiges Erleben mit neuen, anderen und wirkungsvolleren Handlungs- und Erfahrungskomptenzen erweitert ist, bzw. sich erweitern wird. Ich denke, heute bist Du um ein vielfaches stärker, um nicht gleichermaßen im "alten Schmerz" ohnmächtig ausgeliefert zu verharren, nicht wieder das gleiche erleben zu müssen, auch wenn Du Dich dazu vielleicht "schwach" oder "klein" fühlst.
Und dieses ist auch die Aufgabe deiner Therapeutin, Dich damit vertraut zu machen, Dich in Deinen heutigen Möglichkeiten zu stärken und Dich mit deinen "neuen Handlungsmöglichkeiten" bewußt zumachen, Dein heutiges Erleben selbst gestalten zu können.
 
Vielleicht kannst Du dieses Missverständnis mit Deiner Therapeutin zusammen aufklären, denn es hat etwas mit dem Gefühl, einen Finger an die Wunde zulegen zu tun, - nicht in die Wunde!
 
Bitte besprech doch noch einmal mit ihr, damit sie Dir die Angst vor der Therapie nehmen kann. Ich glaube, es ist für euer Vertrauensverhälnis in der Therapie von entscheidender Wichtigkeit.
Ich hoffe, Dir ist mit meiner Antwort zu helfen, vielleicht kannst du ja hier berichten, wie du es in der Therpie erlebst.
 
Viele Grüße und viel Mut für Deine Therapie
 
Peter

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