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Typisch Frau Er, unbescholten, liebt sie, kriminell. Verbringt Jahre seines Lebens mit Warten auf die inhaftierte Geliebte und lässt sich anschließend von ihr windelweich prügeln? Unvorstellbar. Kehrt man den Spieß um, sieht das anders aus: Frauen in den Armen von Gewalttätern sind ein verbreitetes Phänomen. Wie kommt`s? Mädchen wachsen bis heute in typisch weibliche Rollenmuster hinein. Sie werden in einer Gesellschaft sozialisiert, in der immer noch überwiegend Frauen in sozialen Berufen arbeiten. Während sich an der Börse vor allem Männer tummeln, kümmern sich in der Regel Frauen um kranke und alte Menschen. Für andere da zu sein, zu helfen – das ist typisch weiblich, daraus beziehen Frauen oft ihre Bestätigung, sehen darin den Sinn ihres Lebens. Und genau daher rührt die Attraktivität von Kriminellen, also gesellschaftlichen Außenseitern. Ist es Zufall, dass einige der Frauen, die dem Mörder Frank Schmökel Liebesbriefe ins Gefängnis schreiben, Krankenschwester sind? Wohl kaum. Um nicht missverstanden zu werden: Soziales Engagement ist keineswegs geringer zu achten als andere Tätigkeiten, im Gegenteil – bedenklich ist nur, dass es hauptsächlich Frauensache ist. Kein Zufall ist auch, dass ein Großteil der Frauen von Kriminellen schon als Kind Gewalt erlebt hat. Mädchen, die vom Vater, Opa oder Onkel geschlagen oder missbraucht werden, erfahren Gewalt als Bestandteil von Liebe – und wählen immer wieder Gewalttäter als Partner. Gegen diesen Teufelskreis hilft nur eins: Die Vergangenheit aufzuarbeiten. Doch zu viele Frauen denken immer noch, sie wären selbst schuld, hätten Gewalt verdient. Misshandlung und Missbrauch müssen deshalb noch stärker enttabuisiert und zu einem gesellschaftlichen Thema werden. Vor allem aber müssen Eltern ihre Mädchen zu starken Frauen erziehen. Zu lernen, vor allem auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu hören und auch einmal bestimmt „Nein“ zu sagen, ist das beste Mittel gegen eine Zukunft in den Armen eines Gewalttäters. |
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„Irgendeine muss ihm doch helfen“ Krankheit,
Mitleid oder Helfersyndrom? Wenn Frauen Kriminelle lieben: Eine
Betroffene erzählt Gitterstäbe
tun der Liebe keinen Abbruch, im Gegenteil: Viele Frauen werden von
Gewaltverbrechern geradezu magisch angezogen. (Foto: Friedemann Vetter) Von
unserer Mitarbeiterin DAGMAR SCHOMMER Angelina P. will den Mörder und
Kinderschänder Frank Schmökel heiraten. Was wie eine Sensation
klingt, ist jedoch häufiger der Fall, als dies publik gemacht wird.
Eine 27-jährige erzählt im IV-Gespräch über ihre Liebe zu einem
Kriminellen. „Wir sind ganz normale Menschen, wie andere Frauen auch“, beginnt Michelle (alle Namen von der Redaktion geändert) das Gespräch. Sie möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass Frauen, die einen gewalttätigen Mann lieben, „pervers“ sein müssen. Michelle ist Mutter und Hausfrau. Einen Sohn hat sie aus ihrer ersten Ehe, einen zweiten von dem Mann, den sie hinter Gittern heiratete. „Meine erste Ehe war „normal“. Aber das war wohl nix für mich“, erzählt die junge Frau. „Weil ich das nicht gewöhnt bin. Durch meine Kindheit“. „Normal“ heißt für Michelle, dass der Mann nicht vorbestraft war, nicht im Knast saß – und sie nicht geschlagen hat. Hilflos sah sie zu, als ihr Vater prügelteDoch Gewalt kennt die Frau nur zu gut, ihre Eltern waren beide Trinker. Der Vater prügelte die Mutter grün und blau – häufig in Michelles Beisein. Hilflos und ausgeliefert fühlte sie sich als Kind. „Irgendwie saß ich immer zwischen den Stühlen. Da hat meine Mutter mich angefleht, ihr zu helfen. Und gleichzeitig hat mein Vater gebrüllt, ich solle die Hure in Ruhe lassen.“ Ihr zweiter Ehemann, David, saß schon häufiger wegen Gewalttaten und Prügeleien im Knast – zum ersten Mal im Alter von 14 Jahren; etliche weitere Aufenthalte hinter Gittern sollten folgen. Dass David ein „Knacki“ war, wusste Michelle von Anfang an, denn sie war zuvor mit Davids Bruder liiert. Dennoch: „Als wir mal alle was zusammen unternommen haben, hat es sofort gefunkt.“ „Am Anfang war alles ganz toll. Mit Komplimenten und so – genau, wie ich mir das immer gewünscht habe“, erinnert sich die junge Frau. Doch als sie gerade drei Monate zusammen waren, musste David wieder mal für fünf Monate ins Gefängnis. Als er wieder nach Hause kam, begann das, was Michelle nur zu gut kannte. Er prügelte sie. „Ich habe das auf den Alkohol geschoben. Also, er hat immer nur unter Alkoholeinfluss etwas angestellt. Sonst nicht.“ Sie entschuldigt ihren Mann. Leider ist er häufig betrunken, zu häufig. „Er hat sich dann am nächsten Tag
entschuldigt. Da hat er mir auch leid getan und ich habe daran
geglaubt, dass wir das zusammen schon hinbekommen. Und da war ich
auch schon irgendwie in diesem Teufelskreis drin. Für mich war es
ja auch irgendwie normal, dass ein Mann eine Frau schlägt.“ Sie
habe auch geglaubt, sie habe die Schläge verdient. „Irgendeinen
Grund musste es ja dafür geben. Das kann ja nicht einfach so
passieren. Ich dachte, dass ich daran Schuld habe.“ Natürlich
hatte sie auch Angst vor ihrem Mann. „Immer wenn die Tür aufging,
hatte ich eine Todesangst, weil ich ja nicht wusste, ob er getrunken
hatte.“ Er hat mir gedroht, falls ich fremdgeheWarum Michelle nicht gegangen ist, sondern den Mann heiratete, wurde ihr erst später bewusst. Ihre Ehe wurde geschlossen, als David ein weiteres Mal ins Gefängnis musste. „Der ist halt extrem eifersüchtig. Der hat mir gedroht, falls ich jemals etwas mit einem anderen hätte. Kann ich ja verstehen. Er saß da fest. Und ich hier draußen. Ich sah auch ganz gut aus. Da war ich ja auch noch jünger“, sagt die 27-jährige. „Es war ein Liebesbeweis, ihn da drinnen zu heiraten. Ich wollte ihm zeigen, dass ich zu ihm stehe und er sich auf mich verlassen kann.“ Inzwischen ist Michelle in therapeutischer Behandlung. Doch obwohl sie versteht, was sie an David bindet, fällt es ihr schwer, sich zu lösen. Sie würde sich wohl auch ein Bisschen als Versagerin fühlen, denn ihr Ziel war es, David zu retten. „Ich konnte schon meiner Mutter nicht helfen. Jetzt ist sie tot. Irgendwie will ich nicht auch noch David im Stich lassen.“ Denn er braucht ihrer Meinung nach Hilfe. Auch er wurde als Kind brutal geschlagen, wuchs in Heimen auf. „Das verbindet, wenn man etwas ähnliches erlebt hat.“ Aber David spricht nicht über seine Kindheit. Er hält das alles für „Psycho-Quatsch“. „Aber jetzt sieht er ja, wie gut es mir damit geht. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung, dass er sich ändert.“ Sich allerdings in einen Mann wie Frank Schmökel zu verlieben, ist für Michelle unvorstellbar. „Kinder sind für mich heilig. Mit jemandem, der Kindern etwas antut, das geht einfach nicht.“ Dennoch sind Frauen, die sich in
Kinderschänder oder Sexualverbrecher verlieben, keine Seltenheit.
„Der Fall Schmökel ist nur das aktuellste Beispiel. Die Suche
nach dem Gewalttäter war das Medienereignis im Herbst vergangenen
Jahres. Schmökel entkam auf einem Freigang aus der Landesklinik
Neuruppin und flüchtete 13 Tage lang. Inzwischen sitzt er in einem
hochgesicherten Einzelraum der Landesklinik Brandenburg/Havel. Die
Biografie des 38-jährigen wurde minutiös von den Medien
aufgearbeitet: 1995 war er wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und
versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. 25 Frauen schreiben Schmökel LiebesbriefeDer Spiegel berichtete aus dem damaligen Gerichtsurteil: Auf der LPG Siedenbrunzow habe er mit einer „Kuh“ verkehrt und selbst an seit drei Tagen toten Tieren noch Geschlechtsverkehr vollzogen“. Auf seiner Flucht vor knapp drei Monaten stach er einen Pfleger nieder und tötete einen Rentner. Auch seine Kindheit – mangelnde Aufmerksamkeit und Prügel – war ein Thema. Seine Geschichte bewegte einige Frauen so sehr, dass sie ihm Liebesbriefe in die Zelle schicken. Die „Bild“-Zeitung berichtet von 25 Schreiberinnen. Angelina P. aus Düsseldorf will nach Informationen einer deutschen Presseagentur Schmökel sogar heiraten, ohne ihn jemals kennen gelernt zu haben. Sie habe sein Foto in der Zeitung gesehen und sich sofort „verknallt“. „Okey“, räumt die 24-jährige ein, „man nennt ihn einen Mörder, aber Schuld haben die anderen.“ Seine Eltern, die ihn nicht mit anderen Kindern spielen ließen und ihn prügelten. Für sie ist Schmökel das Opfer: „Er sieht doch aus, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun.“ In Rheinland-Pfalz sitzen die „schweren Jungs“ in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Diez. Schwerstkriminelle mit Haftstrafen zwischen vier Jahren und „lebenslänglich“. Im vergangenen Jahr heirateten nach Angaben des Gefängnissprechers Dieter Hörle sechs Paare in der JVA Diez. 1999 waren es sogar 16 – unter den Ehemännern waren Mörder und Sexualverbrecher. |
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Angst und Sehnsucht vor der NäheFrau liebt Gewalttäter:
Drei Experten beleuchten das Phänomen
(scho) Wenn Frauen um die Gewalttaten der
Männer wissen – warum verlieben sie sich dann? Der Trierische
Volksfreund befragt drei Experten. Für die meisten ist es schwer vorstellbar, zärtliche Gefühle für einen Mann zu entwickeln, der Kinder vergewaltigt oder Menschen ermordet. Wie lässt sich das Phänomen „Frau liebt Gewalttäter“ erklären? Prof. Dr. Becker, Persönlichkeitspsychologe
an der Universität Trier, Alois Diebold, Anstaltspsychologe der
JVA Diez und Dagmar Minor, Vorsitzende des Vereins „Schotterblume
e.V.“, der auch Frauen in gewalttätigen Partnerschaften
begleitet, erklären dieses Phänomen. „Ich
helfe, also bin ich wichtig“
Frauen, die sich in einen Gewalttäter verlieben, haben mehrere Eigenschaften gemeinsam. Psychologe Peter Becker sagt: „Diese Frauen versuchen häufig ihr geringes Selbstwertgefühl zu heben, indem sie sich um einen anderen kümmern.“. Die Frau empfindet dadurch Gefühle wie „ich bin ein guter Mensch“ und „ich bin wichtig“, jemanden zu retten könne dem eigenen Leben wieder einen Sinn geben. Eine Theorie, die Dagmar Minor und Alois Diebold aus Ihrer Praxis bestätigen. Ein geringes Selbstwertgefühl alleine treibe eine Frau noch nicht in die Arme eines Mörders. Peter Becker geht davon aus, dass diese Frauen in ihrer Kindheit selbst schmerzliche Erfahrungen machen mussten – bis hin zu körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch. Da die Täter meistens die eigenen Väter, Großväter oder Onkel sind, lernen diese Frauen schon früh, Gewalt zu verzeihen. Sie empfinden häufig sogar Mitleid mit ihren Peinigern. Dieses Gefühlsgemisch aus Mitleid und kindlich-anhänglicher Liebe führt sie dann später häufig wieder zu einem Gewalttäter. „Der Wiederholungszwang kann nur durch die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit durchbrochen werden“, sagt Dagmar Minor zu diesem wiederkehrenden Verhalten. Gefängnispsychologe Diebold schätzt, dass von den Partnerinnen der in Diez inhaftierten etwa die Hälfte Missbrauchsopfer sind. „Die Frauen haben eine übergroße Sehnsucht nach Nähe und gleichzeitig eine panische Angst davor“, erläutert Minor die Situation missbrauchter Frauen. Verliebt sich eine solche Frau in einen Gefangenen, müsse sie nicht fürchten, dass der Mann ihr zu nahe kommen könnte, auch sexuell nicht. Ein weiterer Punkt sei laut Becker, dass sich die Frauen mit den Angeklagten identifizieren: „Sie sehen in den Tätern in erster Linie das Opfer.“ Die Mörder wären ja selbst oft in ihrer Kindheit missbraucht oder misshandelt worden. Eine Gemeinsamkeit, die zu einer großen Verbundenheit führen kann. „Das Täterprofil wird manchmal gänzlich ausgeblendet“ sagt Diebold dazu. Peter Becker nennt mangelnden Realitätssinn als weiteres Merkmal: „Sie schätzen sich und ihre Partner falsch ein, unterschätzen Risiken und überschätzen die Chancen der Liebe einen Menschen zu ändern“, erklärt Becker. „Der hat halt noch nicht die Richtige gefunden“, sei ein weit verbreiteter Glaube unter solchen Frauen, berichtet der Gefängnispsychologe. Denn „die Richtige“, nämlich sie selbst, würde es schon schaffen aus dem Kinderschänder einen liebevollen Vater zu machen. Minor führt zudem auch übergroße Verlustängste an. Weil sich die Frauen minderwertig fühlten, haben sie Angst, verlassen zu werden. Ein Inhaftierter verlasse seine Partnerin aber nicht so leicht. Allerdings führten die genannten Persönlichkeitsmerkmale nicht zwingend zu einer Partnerschaft mit einem inhaftierten Gewalttäter, lautet Beckers Fazit. Eine der seltenen wissenschaftlichen Studien
zu diesem speziellen Thema stammt von Renate Bauzen aus dem Jahr
1994. Interessant daran: Die Forscherin fand heraus, dass –
entgegen weit verbreiteter Vorurteile – die Frauen von
inhaftierten Gewalttätern aus allen gesellschaftlichen Schichten
kommen; unter ihnen Arbeiterinnen wie Akademekerinnen. Knast-Ehen
haben keine große Chance
Der evangelische Seelsorger der JVA Diez, Pfarrer Witt weiß, dass viele dieser Ehen nicht lange halten. Die meisten ließen sich entweder kurz vor oder kurz nach der Entlassung scheiden, weil die Beziehungen dem Alltag nicht standhielten. Am ehesten schafften es Paare, die sich bereits vor der Inhaftierung kannten. |
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