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Fachreferat von Dagmar Minor-Püllen bei der Fachtagung des Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen (LVPE) 2007 in Mayen:

Das Trauma – und seine verschlüsselten Botschaften



Sehr geehrte Frau Beck,
sehr geehrte Frau Nahles,
meine Damen und Herren,
liebe Mitveranstalter, Kollegen, Mitglieder unserer beiden Vereine,

die sich beide zum Ziel gesetzt haben, für Menschen dazusein, deren Psyche, also deren Seele nach Hilfe ruft.
Der Verein Schotterblume spricht gezielt traumatisierte Menschen an, also Menschen, denen die Ursache ihrer psychischen Qual bereits bekannt ist, die sie zumindest ahnen.
Und diese Ursache ist ein sogenanntes Psychotrauma also eine seelische Wunde, die dem Menschen irgendwann zugefügt wurde, für die er keinerlei Bewältigungsstrategien hatte und keinerlei Hilfe und die deshalb bis heute noch nicht heilen konnte.

Trauma ist natürlich ein großer Bereich und nicht jedes belastende Lebensereignis muss zu einem Trauma werden, das hängt von vielen Faktoren Wie Alter in dem das Trauma geschah, Dauer der traumatischen Situation und vor allem dem Umfeld- wurde hingeschaut und geholfen - denn dann kann die Symptomatik nach relativ kurzer zeit abklingen - oder waren alle blind und taub und das Trauma musste unverarbeitet schockgefroren oder abgespalten und tief im Unterbewusstsein in Sicherheit gebracht werden und führt dort dennoch zu langanhaltenden Reaktionen der Psyche und des Organismus in Form von psychischen und psychosomatischen Störungen.
Das Trauma wird zum einen im Gehirn gespeichert, aber auch in jeder Körperzelle. Und nicht nur das Gehirn hat eine Art Archiv, sondern auch der Leib, aber dazu später mehr.

Bei der Arbeit von Schotterblume geht es nicht um durchaus auch schlimme traumatische Erlebnisse wie Verkehrsunfälle, überlebte Naturkatastrophen, Tod eines Partners, Verlust eines Kindes oder Krankheitsdiagnosen, sondern um Gewalterfahrungen.
Genauer gesagt um durch Menschen gemachte seelische, körperkliche und sexuelle Gewalt in der Kindheit und Jugend. Die betroffenen Menschen, die zu mir kommen sind meist längst erwachsen und ihre Erlebnisse sind nicht selten bereits Jahrzehnte her – und tun immer noch weh, behindern noch immer ihr gesamtes Leben.

Die Menschen, die zu Schotterblume kommen oder auch zu mir ein meine Praxis legen mir ganz selten ihre Diagnose auf den Tisch, sondern ihr Trauma in die Hand.
Die meisten haben zwar durchaus eine dicke Mappe mitgebracht, in ihrer großen Tasche oder draußen im Auto gelassen, falls auch ich, wie viele andere, die sehen will – die vielen Krankenblätter, Gutachten, Arzt- und Krankenhausberichte und die nicht selten mit 5, 6 oder 8 verschiedenen Diagnosen, und falls auch ich sie wissen will, die Namen der Psychopharmaka, die sie meist seit Jahren oder gar Jahrzehnten verzweifelt über ihr Trauma kippen oder schütten. Gegen die Angst, gegen das Zittern, gegen die Depression gegen die Aggression, gegen die inneren Stimmen und Bilder und gegen die Trauma-Gefühle. Aber ich will das alles gar nicht vorgelegt bekommen, später vielleicht, das hat Zeit.

Ich möchte etwas anderes wissen von den Menschen, die da vor mir sitzen, entweder abgespalten – d.h. da sitzt nur der Körper, der Rest ist ganz woanders in Sicherheit - oder die da vor mir sitzen, dick eingepackt in einer Medikamentenwatte, so dass sie mich kaum noch wahrnehmen können.
Neulich kam ein Mann in meine Praxis und sagte bereits an der Tür mit einer hörbaren Entschuldigung in der Stimme „Ich bin aber Borderline, arbeiten sie trotzdem mit mir?“
Eine Frau mit der Diagnose Schizophrenie war gar als untherapierbar abgestempelt worden und wagte sich ebenfalls kaum überhaupt um einen Termin zu bitten.
Die Ärzte einer Behinderteneinrichtung wollten einer Frau gar die von ihr selbst gewünschte Traumatherapie verwehren und meinten, mit einer geistig Behinderten sei das sinnlos, die sei eh auf dem Stand einer 14-jährigen stehen geblieben.
Ja, warum bloß? Das wollte sich dann schon keiner mehr fragen.

Ich will aber gar nicht wissen ob jemand Borderline, manisch depressiv, schizophren oder multipel ist, sondern ich will wissen und bin neugierig, was das für ein Mensch ist, der mir da gegenübersitzt.
Ich biete diesem Menschen an, mir zu erzählen wer er ist, was ihn gerade quält, aber auch was seine Ziele sind, wenn es ihm eines Tages besser geht.
Ich will wissen, was er gut kann, was er gerne mag, ob er einen Kräutergarten hat oder ein Haustier liebt, sich noch zu träumen und zu hoffen wagt.
Natürlich möchte ich auch wissen, was ihm angetan wurde, wie er es geschafft hat zu überleben, wie er sich noch heute schützt und rettete vor den schlimmen Erinnerungen. Vielleicht möchte er mir das nicht sofort erzählen, sondern beim nächsten Mal, oder in 3 oder 5 Wochen. Das entscheidet er selbst.

Niemand der vielen Betroffenen, die mir ihre Geschichten erzählt und Hilfe gesucht haben, sind sofort zu mir oder zu anderen Traumafachleuten gegangen. Alle hatten eine lange Odyssee hinter sich, eine qualvolle Suche, sind Um- und Irrwege gegangen und haben durchaus versucht ihr Trauma zu bestechen, zu verleugnen, zu bagatellisieren, zu betäuben oder in Einzelteile zu zerlegen. Irgendwann haben alle gemerkt: das klappt nicht, zumindest nicht auf Dauer.

Das Trauma, bzw. die Erinnerungen an das Trauma überleben.
Denjenigen z.B. die glauben sie könnten das Trauma mit Alkohol ertränken sage ich immer: „Mach Dir keine Hoffnung, Dein Trauma kann schwimmen.“
Und es kann nicht nur schwimmen, es kann auch reden, kann auch schreien.
Das allerdings tut es nonverbal, d.h. es sendet ständig Signale, sog. Symptome aus.
Körperliche und psychische Symptome sind eine "Revolte der verletzten Seele" und haben eine verborgene, verschlüsselte Botschaft.

Weshalb diese Botschaften? Wollen sie betroffenen Menschen etwas Böses, wollen sie ihn nochmals in die alten Höllenqualen werfen? Weshalb ist das Trauma nicht einfach still und gibt Ruhe, schließlich sind die schlimmen Erlebnisse doch längst vorbei?
Das Trauma ist mitsamt all seinen Bildern, Gerüchen, Farben, Worten, Gefühlen und Körperempfindungen in dem Menschen eingesperrt. Mehr noch, sozusagen eingefroren, schockgefroren und es will nur eines: es will da innen drin erlöst werden, damit das Leben wieder fließen kann.

Und das Trauma ruft: Erinnere Dich, ignoriere mich nicht, schau mich an, berühre mich, hör mir zu und tröste mich. Aber der Mensch hört dieses innere verzweifelte Rufen nicht und wenn er es doch wahrnimmt verbietet er dieser inneren Stimme - der Stimme des verletzten Kindes von damals – das Schreien und das Betteln, denn der erwachsene Mensch will nicht erinnert werden an das, was ihm als Kind angetan wurde. An unendliche Einsamkeit, Verlassenwerden, an Lieblosigkeit, Prügel und Missbrauch und grenzenlose Ohnmacht.

Der Erwachsene von heute liebt dieses verletzte, blutende, traurige aber auch zornige, wütende und fordernde Kind, das immer noch in ihm wohnt, meist ganz und gar nicht. Im Gegenteil, er hasst es, er bekämpft es, er stopft ihm den Mund.
Was also bleibt dem Trauma, das in dem Kind sitzt, das in uns, meist tief im Unterbewusstsein wohnt anderes übrig, als verschlüsselte Botschaften nach oben ins Bewusstsein zu senden, um doch noch erlöst zu werden?

Und um diese Botschaften zu senden bittet die Seele zunächst ihren Freund den Körper um Hilfe, denn auch wenn die Traumaerinnerungen im Kopf vielleicht noch abgespalten sind, sie sind auch in jeder Körperzelle gespeichert und der Körper erinnert sich. Und unser Körper ist ein wirklich kluger Verbündeter unserer Seele und des inneren Kindes.
Wenn wir das Kind nicht hören oder wahrnehmen wollen, dann erzählt uns eben der Körper was er gespeichert hat, damit wir uns erinnern.
Er macht sich über sog. Symptome so lange bemerkbar, bis der Mensch hoffentlich kapiert, was die Seele ihm über den Körper sagen will.
Symptom heißt „Warnung“. Symptom ist ein Ausdruck eines Selbstrettungsversuchs.
Alle möglichen Körperbeschwerden können als „somatoform“ bezeichnet werden, d.h. wenn sie nach ausführlicher medizinischer Durchuntersuchung keine ausreichende organische Grundlage aufweisen.

Weshalb? Weil eine große Anzahl von Symptomen ihre Ursachen in Traumata haben.
Es handelt sich vor allem um vegetative Störungen und Schmerzzustände, z.B. Kopf-, Bauch-, Brust-, Rücken- und Gelenkschmerzen, Schmerzen in den Armen und/oder Beinen, Übelkeit, Erbrechen, Druckgefühl im Bauch, Völlegefühle, Durchfall, häufiger Stuhlgang, häufiges Wasserlassen, Druckgefühl in der Herzgegend, Herzklopfen oder Herzrasen, Schweißausbrüche, Hitzewallungen oder Erröten, Atemnot, Hyperventilation, rasche Ermüdung bei nur leichter Anstrengung, Schluckbeschwerden („Kloßgefühl”), Zähneknirschen, Tinnitus.
Leider werden diese Symptome so gut wie nie als Traumafolgen erkannt und die verschlüsselte Botschaft wird nicht verstanden.

Wenn z.B. Migräneschmerzen als Symptom wie Nadeln ins Gehirn stechen um zu erinnern, dass es da etwas gibt, was das Gehirn damals in eine absolute Klemme gebracht hat und was noch nicht begriffen wurde.
Wenn die Haut juckt oder dicke rote Flecken bekommt, weil sie daran erinnern will, an die viele Prügel vor Jahren. Wenn die Augen plötzlich verschwommen sehen, weil sie erinnern wollen an das Schlimme, was sie als Kind lieber nicht gesehen hätten, wenn der Tinnitus so laut rauscht, damit die aggressive Stimme der Täter im Ohr übertönt wird, wenn die Lippen aufplatzen und bluten, weil sie darauf hinweisen wollen, dass es da innen ein Kind gibt, das damals immer auf die Lippen draufgebissen hat um nicht zu schreien.
Wenn die Stimmbänder immer wieder vereitern, weil das Kind nicht reden durfte, wenn die Mundschleimhäute reißen, weil sie auf das Kind hinweisen wollen, das schlucken musste, was es nicht schlucken wollte, wenn Hände taub sind, Fingergelenke anschwellen, weil der Mensch sich erinnern soll an das Kind, das den Täter mit seinen Händen zu seiner Befrieigung berühren musste. Wenn der Rücken schmerzt, sich Nerven einklemmen die Bandscheiben rausquellen, weil sie daran erinnern wollen, dass es da ein Kind gibt, dem man „das Rückrat gebrochen“ hatte, dem man zu viel zu viel auf die Schultern geladen hatte ,wenn die Knie sich entzünden, die Beine Lähmungserscheinungen haben, die Füße taub sind, damit der Erwachsene sich erinnert an das traumatisierte Kind, das nicht weglaufen konnte. Wenn das Immunsystem sich ein Eigentor schießt will es sagen: „Wenn Du so weitermachst, zerstörst Dich selbst.“
Wenn das gesunde Herz Todesangst schickt um an die tausend nächtlichen Ängste des Kindes zu erinnern, wenn das traumatisierte Kind über den Reizmagen aufmerksam machen will, dass es ganz viel alte Wut im Bauch hat, wenn es über den Reizdarm ausdrücken will, dass es immer noch „Schiss hat“, durch die Reizblase übermittelt: „Ich mache mir vor Angst in die Hose“ und über die Neurodermitis schreit: „Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut“. Wenn der Drehschwindel darauf hinweisen will: „Erwachsener, Du verlierst den Halt“. Wenn Hals, Nase und Stimme Signale von innen senden, die sagen sollen: „Etwas schnürt die Kehle zu, schau endlich hin, was das ist.“

Der erwachsene Mensch soll sich also genau an diese Dinge erinnern, die der Körper ihm durch seine eigene Sprache versucht mitzuteilen.
Warum soll er sich erinnern? Damit die innere Wunde – mal vereinfacht ausgedrückt - endlich gesäubert, verarztet, vernäht werden und heilen kann.

Zeit heilt diese Wunden nämlich leider nicht von alleine, da muss der betroffene Mensch schon selbst aktiv mitarbeiten.

Leider ist der Mensch selbst nicht ganz so klug wie sein Körper und sucht die Ursachen zuerst im Außen und nicht innen drin. Das scheint ja auch zunächst einfacher.
Durchaus will der kranke Mensch wissen: „Was habe ich? Wo kommen meine ständigen Magenkrämpfe oder meine Kopfschmerzen her, was ist die Ursache?“
Aber da er die verschlüsselten Botschaften ja nicht verstanden hat, geht er zum Arzt. Der soll ihm sagen was er hat und soll ihm vor allem seine Schmerzen wegmachen.
Die Diagnose gibt ihm die Sicherheit, dass der Arzt seinen Zustand wiedererkennt als eine Gesundheitsstörung, die auch schon bei anderen Menschen aufgetreten ist und deshalb einen Namen hat, beispielsweise "Gastritis". Für den geplagten Patienten hat bereits diese Namensgebung in der Regel eine entlastende Wirkung, bekannt als „Rumpelstilzchen-Effekt“.

Würde der Arzt jetzt sagen: „Kümmere Dich um Deinen seelischen Schmerz, dann werden vermutlich die körperlichen Symptome von alleine verschwinden, denn die sind dann überflüssig“ wäre das fantastisch und es gibt natürlich auch Hausärzte, die genau das sagen und diese Ärzte sind ein Segen.
Doch leider sind solche Behandler zu selten, denn der Arzt hat schließlich ein absolut magisches Heilmittel zur Hand, nämlich seinen Rezeptblock und der ist dem Patienten meist viel lieber, als sich eigenverantwortlich seine inneren Wunden anzuschauen.

Mit dem verschriebenen Medikament wir das Symptom zunächst ja auch gemindert.
Mit viel Glück Bis zum nächsten Arztbesuch. Vielleicht wird es sogar zum Verschwinden gebracht. Doch der Körper lässt sich nicht austricksen und sendet ein neues Signal an einer anderen Stelle.
Gastritis weg - dann schießt das Unterbewusste dem Menschen vielleicht einen Pfeil in den Rücken, damit er endlich etwas ändert: Hexenschuß.
Mit mancher OP wird das Symptom sogar herausgeschnitten, um dann woanders wiederzukommen. Wohlgemerkt – ich spreche hier immer von den Störungen, die auch wirklich seelische Ursachen haben. Damit will ich nicht sagen, dass es nicht auch rein körperliche, hirnorganische oder genetische Erkrankungen gibt oder auch psychische Notfälle, die dringend medikamentös behandelt werden müssen.
Ich spreche aber, wie gesagt, von der kranken Seele, die zunächst den Körper als Nachrichtenübermittler benutzt.
Mit einem Medikament aber kann man kein einziges seelisches Problem lösen, unmöglich!

Ich habe jetzt von den sog. Psychosomatischen Botschaften bzw. Symptomen gesprochen, die das innere Kind, wir können auch sagen, das Trauma oder das -Unterbewußtsein gewählt hat,um sich mitzuteilen. Und Symptome sind noch das gesündeste an der ganzen Sache- sie sind schließlich ein kluger Selbstheilungsversuch und sie sind Kommunikationsmittel.

Natürlich sendet die Psyche diese Signale nicht erst beim erwachsen gewordenen traumatisierten Menschen aus. Bereits die Kinderseele hat über den Körper mit ganz ähnlichen Symptomen nach Hilfe geschrien, weil das Kind selbst ja in der Regel nicht sprechen durte.
Angstanfälle, Schlaflosigkeit, Atemnot, Schluckbeschwerden ,Bettnässen, Schulprobleme, totaler Rückzug oder Alpträume von Monstern, die ihm Dolche in den Unterleib stechen… eine deutliche Sprache, auch ohne Worte.
Viele andere hilflose Signale sind bekannt: Hauterkrankungen, Rückfall in babyhaftes Verhalten, Aggression, Zerstörungswut, Hyperaktivität, Selbstverstümmelung, Essstörungen, Depression, Stehlen, Weglaufen von zu Hause, Psychosomatische Blutungen, auch Selbstmordversuche - um nur einige davon zu nennen.

Sexualisiertes Verhalten gilt übrigens als das eindeutigste Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch.
Im Jugendalter sind noch weitere verschlüsselte Botschaften wie Suchtverhalten, Prostitution oder Missbrauch an jüngeren Kindern zu beobachten.
Ein Mensch nur, ein einziger, der diese genannten stummen Hilferufe versteht und darauf reagiert, könnte ein solches Kind retten. Aber meist sind außen alle blind und taub.
Und bevor wir all diese Verhaltensarten an Kindern und Jugendlichen verurteilen, beschimpfen und bestrafen, sollten wir uns klarmachen, was sich häufig zitternd dahinter verbirgt - nämlich gequälte Kinderseeelen, die eine verschlüsselte Sprache sprechen.

Aber wenn ein Kind - wie so oft - keinen Retter gefunden hat, verdrängt es die Erlebnisse, die Schmerzen, und die berechtigte Wut und die Trauer- auch weiterhin - und in dieser verdrängten Form wuchert all das – wie eben gehört - im Erwachsenenleben unkontrolliert weiter, oft bis zur totalen Zerstörung und Seele, Geist und Körper senden weiterhin Signale aus.

Wenn dann die Pillen und Tropfen vom Hausarzt auch nach Monaten nicht geholfen haben, ist vielleicht der nächste Gang zum Neurologen oder zum Psychiater und der findet dann endlich heraus, was der Mensch für eine Krankheit hat, nämlich eine psychische.
Die Diagnosefindung ist schwierig:
„Finden sich mindestens 4 Symptome unter Kriterium A, nicht aber unter B und C, könnte man die Diagnose XYZ stellen…
Werden nur Kriterien A uns B erfüllt, handelt es sich um ein Teilbild von XYZ. Sind alle 3 Kriterien A, B und C erfüllt, genauer gesagt 4 der 6A-Kriterien, 6 der 11B-Kriterien und 2 der 6C Kriterien, liegt ein Vollbild der XYZ-Störung vor“

Die Bandbreite der gestellten Diagnosen umfasst sogenannte psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie, Depression, Bipolare Störung, Angst- und Zwangsstörungen, Somatisierungsstörungen, Ess-Störungen und natürlich die gesamte Bandbreite der Persönlichkeitsstörungen.
Und nach wie vor streiten sich die Wissenschaftler über die Ursachen so vieler der genannten Störungen.

Ich habe mal ein wenig Ursachenforschung betrieben und immer wieder Aussagen gefunden wie z.B.:

  • Zwangserkrankung: Eine teilweise noch unerforschte Krankheit. Wie es zu solchen Zwangsstörungen kommt, ist bislang nicht völlig geklärt. "Eine gehäuftes Auftreten in der Familie spricht für eine genetische Anfälligkeit".

  • Schizophrenie: Die Ursachen für das Entstehen der Schizophrenie liegen noch weitgehend im Dunkeln. Vermutlich spielen chemische Botenstoffe, die Nervensignale weiterleiten (Neurotransmitter) eine entscheidende Rolle, vermutlich genetisch.

  • Die eigentlichen Ursachen für Autistische Störungen sind nach wie vor unbekannt.

  • Bipolare Störung: Ursache ist eine Störung im Stoffwechsel des Gehirns. Obwohl es bisher keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass die bipolare Erkrankung eine "Erbkrankheit" ist, geht man davon aus. Familiere Häufung.

  • Borderline: Ungeklärte Ursache. Man geht jedoch davon aus, dass eine gewisse emotionale Instabilität genetisch bedingt ist.

  • Die genaue Ursache von ADS ist noch nicht bekannt, vermutlich genetisch bedingt.

  • Psychose: Auslöser ist eine Fehlreaktion des Gehirns, basierend auf biochemischen Vorgängen. Das ist allerdings eine Vermutung…

  • Trotz einer Fülle meist psychoanalytischer Theorien konnten die Ursachen der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung bisher noch nicht empirisch geklärt werden.

  • Sozialphobie: Dabei gibt es so viele Ursachen wie Betroffene.

    vEpilepsie: Hervorgerufen durch ein Ungleichgewicht zwischen hemmenden und fördernden Neurotransmittern. Ursache unbekannt, vermutlich genetisch bedingt.

Ich fasse zusammen: Ursache im Dunkeln, Ursache unbekannt. Es wird vermutet, man geht davon aus… Konnte noch nicht geklärt werden…

Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen?

Wird keine Ursache gefunden, wird sie eben vermutet und dann ist die Störung in der Regel eben genetisch bedingt.
Besonders beliebte Erklärung vor allem deshalb, weil es so auch keine Schuldigen gibt.
Kein Fehlverhalten der Mutter oder auch des Vaters in der Schwangerschaft, keine durch Vernachlässigung entstandenen frühkindlichen Defizite, keine Bindungsstörung, kein Trauma. Die Gene sind’s Schuld.

Nun erlaube ich mir, ganz ohne Wissenschaftlerin zu sein, aber die Frage:
Weshalb haben dann alle - und wenn ich alle sage, meine ich auch alle - die Menschen, die aufgrund eines Traumas oder aufgrund frühkindlicher Defizite in meine Praxis kommen, nicht nur einen Haufen psychosomatischer Symptome und mindesten eine, meist mehrere eben genannter psychiatrischer Diagnosen erhalten?
Diagnosen, die sie mir verschämt flüstern mitteilen, Diagnosen, die ihnen Türen verschließen zu bestimmten Versicherungsangeboten, Diagnosen, die sie von vorneherein vor Gericht unglaubwürdig machen, Diagnosen, die anderen scheinbar erlauben, sie wie Abschaum zu behandeln, Diagnosen, die sie als Stigma empfinden oder als einen Stempel auf ihrer Stirn, den sie nie mehr wegbekommen.
Ich kann natürlich nicht jetzt hier stehen und von den Medizinern fordern:
Laßt die Diagnosen weg… !
Ich spreche mich aber gegen voreilige Einsortierung in äußerst fragwürdige Schubfächer aus und bitte, sehr sorgfältig und gewissenhaft mit der Diagnosestellumg umzugehen.
Denn auch diese Störungen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Botschaften der Seele, des Unterbewussten und des verletzten inneren Kindes von damals, das sagen will:
„Sieh her, ich musste damals mein ICH in Einzelteile zerlegen, damit ich die schlimmen Dinge, die mir angetan wurden, aushalten kann.“
„Sieh her, meine Familie hat mich in einen positiven und einen negativen Anteil gespaltet, weil sie mich in die Klemme gebracht hat.“
Oder „ich musste meinen Täter in einen Bösen aufspalten, der nachts an mein bett kam und mich missbraucht hat und einen Guten, der morgens dann scherzend mit mir beim Frühstück saß.“
„Sieh her, ich musste mir innere Fantasiewelten und Helfer erschaffen, mit denen ich reden kann, weil ich keinen Menschen hatte, der mich gerettet hat.“
„Sieh her, ich pfeif auf diese Welt, ich mach mir schon seit Jahren meine eigene.“
Oder „ich flüchte immer wieder vor der Erstarrung am Boden in eine aufregende grandiose Stimmung in himmlischen Höhn“.
Oder „sieh her, ich mache mir lieber meine eigene Angst als die Trauma-Angst aushalten zu müssen.“

Und ist Ihnen noch etwas aufgefallen?
Bei all diesen Störungen wurde eine Veränderung der Botenstoffe im Gehirn festgestellt.
Ursache? Natürlich wieder unbekannt…
Man weiß aber genau, dass Traumastress die Gehirnstruktur gravierend verändert und Störungen im Neurotransmitterhaushalt verursacht. Zufall?

Nein.

Vorgeburtliche und frühkindliche Schäden und Entwicklungsstörungen müssen einfach noch mehr ins Blickfeld rücken. Wir wissen mittlerweile, dass seelische Belastungen, wie es Traumata natürlich im höchsten Maße sind, massive Störungen der Hirntätigkeit zur Folge haben. Dazu gehört auch das Ungleichgewicht der Neurotransmitter, genau gesagt eine Störung des Gleichgewichts verschiedener Transmitter. Diese Ungleichgewicht wurde durchaus längst bei einer Vielzahl massivster Erkrankungen wie:
Depression, Bipoläre Störung, ADS, Angststörungen, Alkoholismus, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Störungen der Impulskontrolle, Migräne, Hirnleistungsstörungen, Affektive Störungen, Psychose, Schizophrenie, Sucht, Ess- Störungen, Morbus Parkinson, Kinderlähmung, Epilepsie u.v.m. als Ursache oder als eine der Ursachen erkannt.

Medikamentöse Therapien sind ja meist Wirkstoffe, die in diesen Neurotransmitter-/Hormonhaushalt eingreifen und versuchen sollen, „die Lage dort zu entspannen“.

Es kann sich aber dabei aber immer nur um eine symptomatische Therapie handeln, nicht um eine URSÄCHLICHE !!

Es ist für die Neurologen allerdings wahrlich nicht immer leicht, eine entsprechende Diagnose zu stellen, weil oftmals der Zusammenhang zu dem traumatischen Ereignis nicht ohne weiteres herstellbar ist.
Die Belastungsreaktionen sind dann z. B. durch Amnesie völlig abgekoppelt von dem eigentlichen Auslöseereignis.
Ich erinnere mich an eines meines Ausbildungsseminare: Thema Diagnosestellung.
In 3er Gruppen bekamen alle auszubildenden Fachleute ein und dieselbe Krankheitsgeschichte vorgelegt und sollten anhand der Angaben eine Diagnose stellen.
Es verwundert Sie vielleicht sehr, aber fast jede Gruppe hatte sich für eine andere Diagnose „entschieden“ oder konnten sich schon innerhalb der Gruppe nicht einigen.

Viele Störungen, Krankheiten, Syndrome, Symptome können ja auch zusammen auftreten. Eine Mensch kann ja an mehrerem leiden. (Die Medizin formuliert schwarz-humorig: „Man kann Läuse und Flöhe haben“.). Dies führt in der klinischen Praxis zu komplizierten Überlappungen und zahlreichen "Sonderformen", so dass sich die Frage stellt: „Um welche Konstellation handelt es sich, welche Störungen und Krankheiten liegen hier vor?“

Und würden die Fragen nicht hier schon aufhören und würde die nächste Frage lauten: „Wo ist die Ursache von allem, egal ob Läuse oder Flöhe?“, käme man vermutlich in mindestens 70-80 % der Fälle wieder auf eine einzige zurück. Die Ursache liegt im Trauma, dessen verschlüsselte Botschaften noch immer nicht verstanden wurden.

Wenn ich meinem Referat eine zweite Überschrift geben würde, wäre die fast so etwas wie ein Hilfeschrei, nämlich: „Ich will endlich über mein Trauma reden!“

Denn genau mit dieser Bitte kommen ganz, ganz viele Menschen zu Schotterblume, bzw. in meine Praxis.
Sie kommen ganz gezielt, weil sie endlich wissen oder besser gesagt, wissen wollen , dass sie ein Trauma haben, weil sie sich trauen, endlich anzuerkennen, dass unverarbeitete traumatische Erlebnisse in ihrer Vergangenheit die Ursache für ihr Leiden und ihre Qualen sind.

Ich denke da z.B. an eine Frau, 35 Jahre alt, in dicke „Medikamenten-Watte“ eingepackt, die sich nach einer Odyssee von 8 Jahren der Arztbesuche beim Internisten, beim Frauenarzt, Heilpraktiker, Psychiater, beim Neurologen, beim Verhaltenstherapeuten durch sämtlichen Psychiatrischen Kliniken der Umgebung unendlich erschöpft in meinen Sessel fallen ließ und leise flehte:
„Bitte lassen Sie mich reden, ich will nichts anderes, als ein einziges mal einem Menschen erzählen, was ich als Kind erlebt habe.“
Erstaunt fragte ich sie, weshalb sie das denn nicht schon vorher getan habe, wenn sie es doch so sehr möchte.
„Man hat mich nicht gelassen“, erzählte sie. „Man schien es nicht hören, nicht wissen zu wollen, man schien regelrecht Angst zu haben vor meinem Trauma. Ich habe so viele Anläufe gemacht. Da wurde gesagt: ‚Das ist doch schon so lange her, vergessen Sie das einfach!’ Oder man stürzte sich lieber auf die Symptome: ‚Reden wir doch mal über Ihre Ess-Störung!’ Oder man drückte mir einen weiteren Dignose-Stempel auf die Stirn. Ich habe 5 verschiedene, suchen Sie sich eine aus. Ich bin Borderline, bin schizophren, habe eine endogene aber auch eine bipolare Störung, zuletzt bekam ich die Dignose Dissoziative Identitätsstörung.“

Sie legte dabei zwei dicke Aktenordner von Arzt- und Klinikberichten vor mir auf den Tisch, die ich zu ihrem Erstaunen dankend ablehnte und ich sagte: „ich will mich nicht mit Ihrer Diganose unterhalten, sondern mit Ihnen.“
Ich stellte Ihr einen Kaffee hin und ließ sie erzählen, drei Stunden lang.
Und sie triggerte nicht, bekam keinen Flashback, brach nicht zusammen, wurde nicht überflutet - sondern atmete tief durch, wischte eine Träne weg, lächelte und sagte „Danke“.

Das waren drei Stunden der Befreiung. Länger, viel länger dauerte es, dem Körper langsam klarzumachen, dass er jetzt all die starken Medikamente wie Tavor, Haldol, Rohypnol und Co. nicht mehr braucht, die jahrelang auf das Trauma geschüttet wurden, um es schön unten zu halten, damit es bloß nicht ins Bewusstsein kommt. Wenn’s denn noch funktionieren würde…

Tut’s aber nicht. Eint Trauma will nicht weggedrückt, nicht weggeschlossen, nicht abgespalten und nicht bagatellisiert und nicht hinter Diagnosen versteckt werden - es will erlöst werden, damit es heilen kann.
Eine andere Klientin - Diagnose Schizophrenie - sagte zu mir: „Nicht mein Trauma, sondern die vielen Diagnosen haben mich zersplittert.“

Ich wundere mich dennoch immer wieder über die Angst ganz vieler Fachleute, Traumata als mögliche – als sehr mögliche - Ursache für psychische Störungen zu benennen.

Auf einer Fachtagung erfuhr ich: „Die Ursachen der Schizophrenie z.B. sind unbekannt.“
Gleichzeitig (!!) wurde berichtet, in einer Studie zur Verursachung psychischer Störungen durch psychische Traumata habe sich ein enger Zusammenhang zwischen schizophrenen Symptomen und sexuellem Missbrauch bzw. körperlicher Behandlung in der Kindheit gezeigt. Über die Hälfte der Befragten, die drei oder mehr schwere schizophrene Symptome während ihres bisherigen Lebens angaben, erinnerten sich, in ihrer Kindheit sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt worden zu sein.

In einem weitern Vortrag ging es um die Borderline- Störung. Dabei erfuhr ich anhand einer Schautafel im Hintergrund, auf die gar nicht großartig eingegangen wurde, dass sich bei einer Studie herausgestellt hatte, dass 35% der Erkrankten in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt hatten, 50% körperliche Gewalt und 80% Vernachlässigung.

Die Referentin sagte dennoch, man kenne die Ursachen der Borderline- Störung nicht wirklich, ihr sei eigentlich die genetische Erklärung immer noch die liebste (wörtlich)
Also: Borderline ist erblich! „Aha“, dachte ich, „schon wieder“.
Das gleiche behaupten die „Gelehrten“ auch von ADS, der Bipolaren Störung, von Autismus, von Schizophrenie... usw.
Man hätte festgestellt, dass bei den Müttern der Borderline- Patientinnen das Volumen bestimmter Hirnbereiche verringert sei, eben wie es bei den Borderline- Erkrankten ebenfalls. Und deshalb hätten die das mit großer Wahrscheinlichkeit geerbt, mal vereinfacht ausgedrückt...
Bequeme Schlussfolgerung, dachte ich mir.

Und woher kommt bei der Mutter diese Veränderung im Gehirn?

Hat sie das auch schon geerbt oder trauen wir uns endlich mal zu glauben und auch zu benennen, was groß vorne auf der Schautafel stand?
Statt dessen sagte die direkt davor stehende Referentin, sie mache keine Verknüpfung von Borderline und Trauma, sie sehe da keinen Zusammenhang.
Ich war innerlich sprachlos.

Verdrängung klarer Tatsachen selbst bei den Fachleuten?

Wieso bloß diese Angst, offen zu sagen: „Auch die Mutter war vermutlich bereits traumatisiert, dadurch ergaben sich die Veränderungen in ihrem Gehirn“?
Es ist vielleicht nicht jedem Laien bekannt, aber sicher doch den Fachleuten:
Traumastress verändert die Hirnstruktur!

Die Konsequenzen für das Gehirn sind katastrophal, besonders wenn der Mensch noch sehr klein war und das Gehirn noch lange nicht ausgebildet ist.
Als Spätfolgen früher Traumatisierung sind inzwischen belegt: verringertes Hirnvolumen, Defizite im Körper- und Schmerzempfinden, Lern-, Gedächtnis-, Bewegungs- und Verhaltensstörungen. Außerdem psychiatrische Krankheiten.

Eine Frau mit einer Borderline-Störung führt ja leider Gottes aufgrund ihrer Störung als Erwachsene nicht selten ein nicht nur gefühlsmäßig chaotisches Leben und nicht selten wird sie wieder Opfer.
Ich wage mich also zu sagen:
Ihr Kind hat ihre veränderte Hirnstruktur nicht geerbt, sondern wurde evtl. bereits im Mutterleib mit traumatisiert oder ganz sicher später.

Wissen wir es denn noch immer nicht, dass Kinder psychisch kranker Eltern enorm häufig alleine dadurch traumatisiert werden, dass sie mit kranken Eltern groß werden, .wissen wir es denn noch immer nicht, dass der frühe Mangel an Sicherheit oder gar der Verlust der Sicherheit bietenden Bezugsperson die bedrohlichste und massivste Störung ist, die das sich entwickelnde Gehirn treffen kann?
Oder wollen wir es nicht wissen, weil es sofort nach einer Anschuldigung klingen könnte?

Diese beharrliche Blindheit für die wahren Ursachen vieler psychischer Erkrankungen hilft keinem einzigen Betroffenen, im Gegenteil, sie macht eine richtige Behandlung unmöglich.

Viele ableitbaren Spätfolgen früherer Traumatisierung für das Gehirn sind inzwischen bereits wissenschaftlich belegt. Laut Prof. Gerald Hüther, dem deutschen Hirnforscher, handelt es sich dabei um:
  • verringertes Hirnvolumen,
  • Defizite der Frontalhirnentwicklungen
  • Defizite auf der Ebene von Körperempfinden, Schmerzempfinden
  • Defizite Körperl. Bewegungs-und Gleichgewichtsausgleich
  • vielfältige Verhaltensstörungen
  • Defizite auf der Ebene von Lernen und Gedächtnis
  • Dissoziative Symptome
  • Gestörte Affektregulation
  • Somatisierungsstörungen,
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung,
  • Drogenabhängigkeit
  • selbstverletzendes Verhalten
  • Depressionen, Zwangsstörungen, EssStörungen, Angst-Störungen, ADHS

Dazu weiß man heute. dass Menschen, die als Kinder körperlich oder sexuell missbraucht wurden, eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit haben, Entzündungsproteine im Blut zu bekommen. Die Ergebnisse einer neuen Studie konnten erklären, warum missbrauchte Kinder später häufiger an Herzkrankheiten chronischen Darmerkrankungen, Autoimmun-Erkrankungen sowie Diabetes erkranken.

Von vielen Fachleuten werden, wie bereits mehrfach gehört, die Zusammenhänge zwischen traumatischem Erleben einerseits und Symptomatik andererseits vehement abgestritten und sie ignorieren damit alle wissenschaftliche Erkenntnisse, die eindeutige Zusammenhänge zwischen dem Erleiden traumatischer Ereignisse und der Entwicklung psychischer und psychiatrischer Störungen aufzeigen.

Zwangsläufig muss es zu einer fortschreitenden Verfestigung dieser, durch psychische Traumatisierung ausgelösten Störungen kommen, wenn diese Personen mit ihrer traumatischen Erfahrung allein gelassen, also nicht rechtzeitig durch kompetente Therapeuten bei der Integration ihrer traumatischen Erfahrung in ihren jeweiligen Erfahrungsschatz unterstützt werden. Aus dieser neurobiologischen Perspektive ist auch vorhersagbar, dass die normalerweise bei depressiven, psychotischen, oder suchtbedingten psychiatrischen Erkrankungen eingesetzten therapeutischen Maßnahmen wirkungslos bleiben oder den Zustand dieser Patienten gar verschlechtern.

In der Kindheit liegen die Wurzeln unseres Lebensbaums und wenn dieser Baum später krank ist, keine Früchte trägt, wenn die Blätter nicht grün werden, wenn die Rinde abfällt und die Äste immer wieder verdorren, dann nützt es doch auch nichts, die Blätter mit irgendeinem Mittel zu besprühen, blankzureiben, die Rinde wieder anzukleben, die Äste zu reparieren künstliche Früchte hineinzuhängen.
Wir müssen die Wurzeln ausgraben und herausfinden, was da nicht in Ordnung ist.

Die Heilung ist ein Prozess, in dem an den Wurzeln die Wahrheit der Kindheit gefunden werden muss.
Wichtig ist die bewusste Entscheidung zur Heilung, ansonsten geht nichts.
Wer Besserung möchte, muss gewillt sein, Zugang zu seinen Gefühlen zu suchen, sonst hat er keine Chance. Es geht darum, zuerst das bestehende Chaos in der Gesamtheit unretuschiert zu erleben, um die volle Wirklichkeit der Lage zu erkennen. Jahrelang eingeübte Schutzprogramme müssen umgeschrieben werden und das ist durchaus möglich.
Die erwachsenen Opfer brauchen die Erlaubnis zur Regression, zum Zurückgehen in ihre Kindheit. Sie brauchen die eigene Erlaubnis, ihre heftigen Gefühle ausdrücken zu dürfen, zum kleinkindlichen Weinen und zum Schreien und Jammern.
Sie brauchen einen Schutzraum dafür und benötigen Helferinnen und Helfer, die diese teilweise massiven Gefühlsäußerungen nicht nur ertragen, sondern fördern, die gerechtfertigte Wut, Angst und Traurigkeit erlauben und Trost spenden.

Das heißt, mit dem gesamten intensiven Erleben noch einmal nachholend in der Phantasie an jenen Ort und in jene Zeit zurückzukehren, wo der Mensch damals als Kind ausgeliefert war und wo er dieses mal eine Möglichkeit findet, sich der Situation mit ihren Gefühlen und Bildern neu zu stellen. Diesmal nicht allein sondern ermuntert von wohlwollenden Begleitern.
Therapie ist also etwas anderes als bloße Wiederholung des Elends der Kindheit oder ständiges Herumrühren in alten Schmerzen.
Die Vergangenheit ist nicht mehr veränderbar. Die Folgen im Heute allerdings durchaus.

Wie kann sich aber nun ein Mensch helfen, der sein unverarbeitetes traumatisches Erlebnis als Ursache seiner Leiden, Schmerzen oder Störungen erkannt und anerkannt hat? Und wenn Sie gut hingehört haben, haben Sie richtig verstanden: Wie kann ER sich helfen?
Denn kein Medikament, kein Arzt und kein Therapeut kann das Problem für den betroffenen Menschen lösen, keiner kann ihm die Heilung abnehmen. Das muss er selbst tun.

Der Therapeut kann ihm lediglich Lösungsvorschläge anbieten, Möglichkeiten aufzeigen, helfend am Rande stehen, während der Patient sich entschließt, nicht weiter vor seinem Trauma wegzulaufen, sondern sich rumzudrehen, das Trauma anzuschauen und sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Meist wird das Trauma dann beruhigt und getröstet von dannen ziehen.
Ein Trauma aufzulösen ist der leichtere Teil der Heilung, die Trauma-Therapie ist dagegen schwierig.

Denn der Patient hat ja sein ganzes bisheriges Leben um das Trauma herum aufgebaut mit all seinen Schutz- und Abwehrstrategien.
Die Symptome hatten ja eine Funktion und sind nun überflüssig geworden, d.h. der Patient muss nun unweigerlich sein bisheriges Leben ändern, in ein Leben, in dem das abgewehrte Trauma nicht mehr der Mittelpunkt ist und er einen neuen Sinn suchen muss. Kann er das auch so einfach?
In der Regel – nein!
Dafür braucht er zunächst seine eigene volle Unterstützung und zusätzlich therapeutische Begleitung.

Dass viele traumatisierte Menschen den Mut haben, diesen Heilungsweg aktiv einzuschlagen und dass viele Therapeuten den Mut haben, sie wertschätzend dabei zu begleiten, dass wünsche ich mir und Ihnen und möchte enden mit einem Gedicht aus dem Band „Tote Puppe“ das sehr eindrücklich von den Signalen des Körpers erzählt:


Körpersprache

Puppenkörper
schreit nach Hilfe,
weil er seine Seele vermisst,
ohne die er
nicht lebendig ist.
Tausend Nadeln
stechen hinter der Stirn,
bohren sich durch's
scheintote Gehirn.
Die Augen beginnen
verschwommen zu seh'n,
die Beine werden zu Gummi,
können nicht mehr fest
auf dem Boden steh'n.
Schlingpflanzen ziehen sich
um's nach Luft röchelnde Herz
und die Porzellanhaut brennt
schamesrot wie Feuer
mit fiebrigem Schmerz.
Der steinerne Magen
wird von irgendwas zerfressen
und der Körper hofft,
dass die Puppe
endlich Schluss macht
mit dem Vergessen,
dass sie seine vielen
gutgemeinten Signale versteht
und auf die Suche
nach ihrer Seele geht.

Dieses Fachreferat darf, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Referentin Dagmar Minor-Püllen verwendet werden.


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