Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen KircheAlso Krise als Chance ? die neuen, angeblich einheitlichen, wohlgemerkt LEIT-linien - nicht RICHT-Linien! Sich nach etwas richten MÜSSEN oder sich von etwas leiten lassen - KÖNNEN? herausgegeben nach der Herbst- Vollversammlung in Fulda: Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen BischofskonferenzLeitlinien mit ErläuterungenEinführung Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird zunehmend in unserer gesamten Gesellschaft und auch in der Kirche offenkundig. Er zeigt eine tiefgehende Krise an und ist für die Kirche eine Herausforderung zu einer Reinigung aus dem Geist des Evangeliums. Daher sehen wir Bischöfe uns in die Verantwortung gerufen. Auch in Deutschland gibt es sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche. Diese Vergehen haben einen zerstörerischen Charakter gegenüber Kindern und Jugendlichen. Sie verletzen deren Würde und Integrität tief. Die Opfer werden in ihrer Entwicklung schwer geschädigt, bei ihnen und bei ihren Angehörigen wird großes Leid ausgelöst. Wenn ein Geistlicher sich an einem Kind oder Jugendlichen vergeht, verdunkelt er auch die christliche Botschaft und die Glaubwürdigkeit der Kirche und fügt der kirchlichen Gemeinschaft schweren Schaden zu. Sexueller Missbrauch Minderjähriger ist darum nicht nur nach staatlichem Recht, sondern auch in der kirchlichen Rechtsordnung eine Straftat. Sexueller Missbrauch Minderjähriger kann unterschiedliche Ursachen haben. Nicht jeder Fall ist auf eine pädophile oder ephebophile Neigung zurückzuführen. Eine Diagnose muss in jedem Fall differenziert erfolgen. Aus fehlenden Kenntnissen über die näheren Zusammenhänge sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wurde häufig unangemessen reagiert. Im Blick auf die Opfer bedauern wir dies zutiefst. Heute steht fest, dass Pädophilie eine sexuelle Störung ist, die von der Neigung her strukturell nicht abänderbar ist und ephebophile Neigung als nur zum Teil veränderbar gilt. Die neuen Erkenntnisse helfen für die Zukunft, aber sie können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Es ist uns Bischöfen als Verantwortliche für unsere Diözesen ein Anliegen, alles zu tun, um dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger stärker entgegen zu wirken und Wiederholungstaten zu verhindern. Wir stellen zugleich fest, dass die allermeisten Geistlichen vorbildlich ihren Dienst verrichten. Die folgenden Leitlinien, die von der Deutschen Bischofskonferenz in der Herbst-Vollversammlung 2002 verabschiedet worden sind, sollen eine einheitliche Vorgehensweise gewährleisten und in diözesaner Zuständigkeit umgesetzt werden.
Leitlinien
I. Zuständigkeit
Wer von sexuellem Missbrauch Kenntnis erhält, soll sich an die beauftragte Person wenden. Alle kirchlichen Mitarbeiter sind verpflichtet, Fälle, die ihnen zur Kenntnis gebracht werden, weiterzuleiten. Der Beauftragte recherchiert den Sachverhalt und ist Kontaktperson für die staatlichen Strafverfolgungsbehörden. Ihm kann der Diözesanbischof einen Arbeitsstab aus Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzten, Juristen, Theologen, Geistlichen und Laien, Männern und Frauen zur Seite stellen. Diözesanbischöfe können auch einen überdiözesanen Arbeitsstab einrichten. Die Zuständigkeit für die Prüfung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Ordensleute, die unter Gestellung in bischöflichem Auftrag tätig sind, liegt - unbeschadet der Verantwortung der Ordensoberen - bei der Diözese. In anderen Fällen bieten die Diözesen dem Ordensoberen Unterstützung an. Der Beauftragte wird im Amtsblatt der Diözese bekannt gemacht und die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt.
II. Prüfung und Beurteilung Unmittelbar nach Kenntnisnahme eines Verdachts oder eines Vergehens leitet der Beauftragte die Prüfung ein. Er führt mit dem Verdächtigten ein Gespräch, zu dem er einen Juristen hinzuzieht. Über das Gespräch wird ein Protokoll angefertigt, das von den Beteiligten zu unterzeichnen ist. Mit dem (mutmaßlichen) Opfer bzw. seinen Erziehungsberechtigten wird umgehend Kontakt aufgenommen. Aufgrund der protokollierten Tatbestände wird beurteilt und festgestellt, wie den Betroffenen am besten zu helfen ist und weiter vorgegangen werden muss. Die Fürsorge der Kirche gilt zuerst dem Opfer. Dem Schutz des Opfers vor weiterem Missbrauch oder öffentlicher Preisgabe von Informationen wird besondere Sorgfalt gewidmet. Auch dem Verdächtigten gegenüber bleibt die Pflicht zur Fürsorge. Er steht bis zum Erweis des Gegenteils unter Unschuldsvermutung. Erweist sich der Verdacht als unbegründet, werden die notwendigen Schritte unternommen, den guten Ruf der Person wiederherzustellen. Die Verantwortung des Diözesanbischofs bleibt - unbeschadet der Einsetzung des Beauftragten - bestehen. Er wird unverzüglich nach Kenntnisnahme eines Verdachts oder eines Vergehens informiert.
III. Kirchliche Voruntersuchung Erhärtet sich der Verdacht, wird eine kirchenrechtliche Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC eingeleitet. Diese wird von einer geeigneten Person, die der Bischof bestimmt, durchgeführt. Je nach Sachlage wird entschieden, ob der Verdächtigte für die Dauer der Voruntersuchung von seinem Dienst freigestellt werden und sich von seinem Dienstort entfernt halten muss. Zur kirchlichen Voruntersuchung sollen Fachleute aus den im I, 1. genannten Stab hinzugezogen und je nach den Bedingungen des Einzelfalls beteiligt werden. Gemäß dem Motuproprio über den Schutz der Heiligkeit der Sakramente (Sacramentorum sanctitatis tutela) vom 30.4.2001 wird der Diözesanbischof nach Abschluss der Voruntersuchung diesen Fall dem Apostolischen Stuhl zuleiten.
IV. Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten - falls nicht bereits eine Anzeige vorliegt oder Verjährung eingetreten ist - zur Selbstanzeige geraten und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert. Kontaktperson für die staatlichen Strafverfolgungsbehörden ist der vom Bischof Beauftragte (vgl. Leitlinie I, 1). Wenn die Staatsanwaltschaft bereits aufgrund einer Anzeige recherchiert, wird mit ihr Verbindung aufgenommen.
V. Hilfen für Opfer und Täter Der Beauftragte des Bischofs wird in einem persönlichen Gespräch mit dem Opfer und seinen Angehörigen auch im Namen des Bischofs tiefes Bedauern zum Ausdruck bringen. In seinen weiteren Bemühungen wird er von fachlich ausgewiesenen Personen aus den Bereichen der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Psychagogik unterstützt. Die Hilfsangebote sind individuell verschieden, je nachdem, ob es sich um Kinder und Jugendliche oder um Erwachsene handelt, deren sexueller Missbrauch schon Jahre zurückliegt. Die Maßnahmen beziehen je nach Einzelfall auch die Familienangehörigen der Opfer (Eltern, Geschwister) mit ein. Finanzielle Unterstützung therapeutischer Maßnahmen ist im Einzelfall möglich. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft erweist sich Pädophilie als von der Neigung her strukturell nicht abänderbar und Ephebophilie als nur zum Teil veränderbare sexuelle Störung. Unbeschadet dieser Erkenntnis trägt eine differenzierte diagnostische Abklärung und fachkundige Therapie dazu bei, Wiederholungsfälle zu verhindern und dem Täter ein Leben ohne Ausübung seiner sexuellen Störung zu ermöglichen. Eine Therapie wird in jedem Fall verlangt. Im Umfeld von Täter und Opfer werden Maßnahmen zur Überwindung von Irritationen, Sprachlosigkeit und Trauer getroffen. Im Einzelfall wird, wenn nötig, ein Netzwerk angeboten, das einer Isolation des Opfers und seiner Familie entgegenwirkt.
VI. Kirchliche Strafmaßnahmen Unabhängig von der zivilrechtlichen Verfolgung und Ahndung werden kirchenrechtliche Strafmaßnahmen eingeleitet. Es können Sühnestrafen, die den Täter auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit treffen, verhängt werden. Der genaue Umfang wird in einem Strafurteil durch das kirchliche Gericht oder ein Strafdekret, das die Glaubenskongregation bzw. der Diözesanbischof erlassen, festgelegt. In Einzelfällen wird eine Entlassung aus dem Klerikerstand notwendig sein. Geistliche, die sich des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht haben, werden nach Verbüßung ihrer Strafe nicht mehr in Bereichen eingesetzt, die sie mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung bringen. Es besteht eine dauerhafte Verpflichtung für den Täter, mit dem Beauftragten in der Diözese im Gespräch zu bleiben. Außerdem sind flankierende Maßnahmen für seine weitere Lebensführung und Beschäftigung zu vereinbaren. Dazu gehört ständige Begleitung (geistliche Begleitung, therapeutische Begleitung, Einbindung in ein Netzwerk).
VII. Öffentlichkeit Die entsprechende Information der Öffentlichkeit wird durch eine speziell mit dieser Aufgabe betraute Person durchgeführt. Um zusätzlichen Schaden für die Opfer oder eine ungerechtfertigte Diskriminierung der Täter zu vermeiden, wird die Öffentlichkeitsarbeit sich um eine Ausbalancierung zwischen notwendiger Transparenz und dem Persönlichkeitsschutz bemühen.
VIII. Prävention Die Aus- und Fortbildung der Geistlichen thematisiert im Rahmen der allgemeinen Persönlichkeitsbildung die Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Sexualität, vermittelt Kenntnisse über Anzeichen sexuellen Fehlverhaltens und gibt Hilfen für den Umgang mit der eigenen Sexualität. Auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Handlungen kann es Verhaltensweisen im pastoralen oder erzieherischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen geben (z. B. Distanzlosigkeit oder vertrauliche Berührungen), die zu meiden sind. Wenn im Einzelfall Anlass zu der Sorge besteht, dass ein Verhalten auf pädophile Neigung hinweist, wird eine diagnostische Abklärung durchgeführt. Die für die Aus- und Fortbildung Verantwortlichen werden auf Personen zugehen, die ein auffälliges Verhalten zeigen, um persönliche Schwierigkeiten in einem frühen Stadium thematisieren und Hilfen zur Bewältigung einleiten zu können. Für den Fall einer Versetzung (unbeschadet Leitlinie 12) oder bei Verlegung des Wohnsitzes von Geistlichen, die sich des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht haben, wird der neue Dienstgeber oder kirchliche Obere, in dessen Bereich er sich künftig aufhält, über die besondere Problematik in Kenntnis gesetzt.
IX. Entsprechendes Vorgehen bei anderen kirchlichen Mitarbeitern Gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im haupt- und nebenamtlichen kirchlichen Dienst, die sich sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig machen, wird im Einklang mit den jeweiligen arbeitsrechtlichen Regelungen entsprechend vorgegangen. Personen, die sich sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig machen oder gemacht haben, werden auch in der ehrenamtlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Pfarrgemeinden oder kirchlichen Verbänden nicht geduldet.
Fulda, den 26. September 2002 Am Abend vor Bekanntwerden der neuen Leitlinien bekam ich einen Anruf von SWF 3 mit der Frage, ob ich am nächsten Tag spontan in der Landesschau ein paar Worte dazu sagen wollte. Und ob ich wollte! Nun ja, was eben so in 4 Minuten Redezeit möglich ist... ?Ist das nur ein erster Schritt?? antwortete ich: ?Ich hoffe, dass das nur ein erster Schritt ist? Die Zeitungen haben zwar am nächsten Tag über die neuen Leitlinien berichtet, eine vollständige Veröffentlichungen aller Leitlinien konnte ich nirgendwo entdecken, auch kaum eine zaghafte kritischen Anmerkung. Akzeptieren weiterhin, dass die Kirche ihre eigenen (Straf-)gesetze hat und behalten will? Die Kirche wollte die ?verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?. Ist ihnen das mit den neuen Leitlinien gelungen in denen noch nicht einmal die Vorgaben des Papstes ausgeführt wurden, der nämlich sagte am 2. April diesen Jahres beim Krisengipfel klare Worte: Wer jungen Menschen Schmerzen zufügt, für den ist in der Kirche kein Platz?! Und der weiterhin forderte: Uneingeschränkte Aufklärung und Ahndung der Straftaten. Auch erließ der Papst die Anweisung, dass JEDER Fall nach Rom weitergeleitet, der Verdächtige UNVERZÜGLICH beurlaubt und die Polizei eingeschaltet werden müsse. Wir vom Arbeitsteam des Vereins Schotterblume sind der Meinung: Die Bischöfe wollen einen härteren Kurs einschlagen. Die Frage ist nur, werden sie es auch tatsächlich tun? Die neuen Leitlinien lassen uns daran zweifeln. Die Ansätze sind gut, aber noch sehr überarbeitungsbedürftig. Einheitliche Richtlinien waren angekündigt, dennoch haben die einzelnen Diözösen noch immer jede Menge Spielraum, z.B. selbst zu entscheiden, ob sich dem nun geplante speziell Beauftragte der Kirche einen Arbeitsstab aus Psychologen, Therapeuten, Ärzten, Juristen und Laien zur Seite gestellt wird oder nicht. Wir fordern: Arbeitsstab, nicht KANN ? sondern MUSS! ? dann ist das eine wirklich gute Sache - Jeder Verdacht soll künftig geprüft werden steht weiter in den neuen Regeln, aber nicht von der Staatsanwaltschaft sondern von einem Beauftragten der Kirche. Je nach Sachlage soll eine Beurlaubungen bis zur Klärung angeordnet werden. Wir fordern: Immer sofortige Suspendierung bis zur eindeutigen Klärung! Selbst bei durch die Kirche erwiesen Missbrauch und auch dann noch immer ? je nach Sachlage, soll eine Strafanzeige erfolgen. Wir denken die Kirche hat nicht die Kompetenz, Täter- Ermittlungen zu führen, selbst wenn der Beauftragte, wie in den Regelungen festgelegt, einen Juristen hinzuziehen soll. Wir fordern: Bei erhärtetem Verdacht: sofortige Strafanzeige! Nach Verbüßung der Strafe können Priester auch weiterhin in andere Bereiche eingesetzt werden, wenn auch in Bereiche, in den sie nicht mit Kindern in Berührung kommen. Wir fordern: Entlassung ? nicht Versetzung und auch nicht Umbesetzung! Persönliche Gespräche mit den Opfern sollen durch Beauftragen des Bischofs geführt werden. Wir fordern: Befragung der Opfer nur durch psychologische Fachkräfte! Unterstützung für Opfer und Angehörige in finanzieller und therapeutischer Hinsichtsollen in Einzelfällen gewährt werden. Im Ansatz sehr gut, aber: Wir fordern: Diese Hilfen ohne Ausnahmen in allen Fällen. Wir fordern: Anlaufstellen für Opfer, finanziert durch die Kirche. Bei angeblich nur 47 Fällen in 30 Jahren müsste das zu leisten sein! Ständige Therapeutische Begleitung des Täters gehört auch zu den neuen Richtlinien. Hört sich gut an ? aber ist das durchführbar? Wer will das kontrollieren? Wir fordern: Zwangstherapie für Täter ?aber auf eigene Kosten! Dagmar Minor Vorsitzende Schotterblume e.V. Leitlinien wertlos?Die Vorgänge im September 2007 um den Fall eines im Jahr 2000 rechtskräftig wegen Missbrauchs verurteilten Priesters im Bistum Regensburg zeigen, dass diese Leitlinien das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden, so lange es Bischöfe wie den Regensburger Bischof Ludwig Müller gibt, die nicht gewillt sind, sich an diese Leitlinien zu halten. Bichof Müller hatte den verurteilten Pädophilen Priester entgegen Punkt 12 dieser Leitlinien wieder als Priester eingesetzt, wo er den Vorwürfen der Betroffenen zufolge wiederum Kinder missbrauchte. Doch anstatt diese Verfehlung einzugestehen verteidigte Bichof Müller vehment sein Vorgehen, so dass nicht davon auszugehen ist, dass er daraus gelernt hat. Und wo blieben unsere Kinder? Leitlinien nach massenhaften Missbrauchsvorwürfen auf den Prüfstand?Mit jahrelander Verspätung und erst nach Bekanntwerden von Missbrauchsvorwürfen an katholischen Schulen in über 115 Fällen hat nun die katholische Bischofskonferenz beschlossen, die ganz offenkundig wirkungslosen Leitlinien auf den Prüfstand zu stellen, wie ihr Vorsitzender, Erzbischof Zollitsch am 22.02.2010 versprach. Nun soll das Thema auch endlich Chefsache und dem Papst vorgetragen werden. Hoffen wir, dass nach jahrelanger Verzögerungstaktik nun endlich gehandelt wird, zum Schutz unserer Kinder! |