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"O Gott, laß es nicht meine Mutter gewesen sein!"


Nie werde ich diesen entsetzten, zutiefst verzweifelten und tränenerstickten Aufschrei einer Frau vergessen, die zitternd vor mir kauerte und deren Erinnerung gerade, nach Jahrzehnten, freigegeben hatte, dass sie als kleines Mädchen von ihrer eigenen Mutter sexuell missbraucht worden war.
DASS ihr sexuelle Gewalt angetan wurde, hatte sie nie vergessen, nur das Gesicht des Menschen, der die schlimmen Taten an ihr begangen hatte, hatten gnädige Schutzmechanismen zunächst "unkenntlich gemacht" - bis zu diesem erwähnten Tag, ausgelöst durch einen sogenannten "Schlüsselreiz".
Jeder x-beliebige Mann wäre ihr "lieber" gewesen, aber nicht eine Frau, nicht ihre Mutter !
Ein absoluter Ausnahmefall ? Nein !

Im Laufe der nächsten Jahre vertrauten mir immer mehr erwachsengewordene Opfer an, von Mutter, Großmutter, Schwester, Cousine, Tante ,Erzieherin oder Nachbarin sexuell missbraucht worden zu sein.
(Sexuelle) Gewalt ist also nicht NUR männlich ,auch wenn den meisten das offenbar lieber wäre, weil sonst unweigerlich der goldene riesengroße Thron der Frau, besonders der Mutter einstürzen muss.

Nach neuesten Untersuchungen liegt der weibliche Täteranteil bei 15%. Dass es aber besonders hier eine hohe Dunkelzone gibt, versteht sich beinahe von selbst.
Jungen, die Sexualopfer einer Frau wurden, werden kaum darüber reden, damit ihre zum Spielzeug gemachte Männlichkeit nicht belacht wird, oder sie am Ende noch mit einem augenzwinkernden Schulterklopfen um die "Sexualaufklärung durch eine reife Frau" beneidet werden.

Ich hielt im letzten Jahr eine Lesung in einer Männer-Therapiegruppe. Alle Teilnehmer waren als kleine Jungen Opfer von elterlicher Gewalt gewesen. Was einigen von ihnen, besonders durch die eigene Mutter, angetan wurde, ließ mich gruseln.
Dennoch war kein einziger von ihnen bereit, die Mutter von ihrem "Thron" zu stürzen.
Lieber wurden noch heute tausend Entschuldigungen für sie gefunden oder die Schuld bei sich selbst gesucht.
Da wurde sich hartnäckig gegen die Erkenntnis gewehrt, dass ausgerechnet die Frau, von der das Kind, wie von keiner anderen, Liebe, Zärtlichkeit, Schutz und Wärme erhofft hat, verletzt, vernachlässigt, gedemütigt, gequält ,missbraucht hat.
"Mutter MUSS in Wirklichkeit doch gut gewesen sein, Mutter MUSS mich irgendwie doch geliebt haben", eine fast nicht tot zu bekommende Kinderhoffnung, steckt hinter dieser Verleugnung, Verdrängung, Bagatellisierung oder Abspaltung der niederschmetternden Tatsache, dass Mutter leider so ganz anders war ...

Frauen, die als Mädchen durch eine Frau, besonders auch hier wieder durch die eigene Mutter sexuell benutzt wurden, brauchten ganz viel Vertrauen, um mit mir darüber reden zu können.
Sie konnten sich zunächst kaum vorstellen, dass ich ihnen "so was" überhaupt glauben würde, Täter sind schließlich immer männlich, so wurde es ihnen zumindest, wie fast allen Kindern überall beigebracht, selbst im Märchen, in denen auch durchaus Väter ihren Töchtern Schlimmes antun ("Allerleirauh")
Wenn dort auch mal eine Frau einen vergifteten Apfel reicht oder ein anderes Kind bevorzugt, so ist es allenfalls die böse Stiefmutter, die richtige Mutter tut das nicht.
Mädchen haben so natürlich bis ins Erwachsenenleben hinein große Schwierigkeiten hier ihren eigenen Wahrnehmungen zu trauen, selbst zu glauben, dass sie etwas erlebt haben, was es eigentlich nicht gibt, nicht geben darf.

Weibliche Opfer einer Frau hatten zudem auch große Befürchtungen, dass sie automatisch als lesbisch gelten würden.
Doch, dass eine Frau sich zum eignen Geschlecht hingezogen fühlt, kann natürlich hunderterlei verschiedene Gründe haben ist ganz sicherlich nicht "logische Folge" eines Missbrauchs (durch eine Frau) und ist auch nicht "krank".

Was sind das für Frauen, die "so etwas" tun ?

Hier gilt dasselbe wir für männliche Täter. Auch Täterinnen haben keine besonderen oder kranken Persönlichkeitsmerkmale.
Auch Täterinnen kommen aus allen Gesellschaftsschichten und planen die sexuellen Missbrauchshandlungen ganz bewusst. Sie haben zwar die besondere Möglichkeit, den Deckmantel der fürsorglichen Körperpflege und der Zärtlichkeiten darüberzuhängen, gehen aber durchaus auch mit zusätzlicher emotionaler oder massiver körperlicher Gewalt vor.
Die emotional missbrauchende Mutter ist die, die gerade noch so "akzeptiert" wird, denn diese Taten können so wunderbar einfach bagatellisiert werden.

Doch, was Mütter den Seelen ihrer Kinder auch antun können, selbst ohne das Kind jemals gewaltsam zu berühren, übertrifft oft jede Vorstellungskraft.
Auch Täterinnen waren in der Regel selbst als Kind Missbrauchsopfer, haben die Folgen nicht aufgearbeitet und machen sich schuldig, indem sie ihre eigene erlittene Qual weitergeben.
"Aber können Frauen denn überhaupt "richtig" missbrauchen ?" werde ich immer wieder gefragt, besonders von Männern, die glauben, ohne männliches Geschlechtsteil sei das ja eigentlich nicht möglich.
Nun das beruht natürlich auf der leider weitverbreiteten Einschätzung, es gäbe einen "richtigen" und demnach auch einen "falschen" Missbrauch.
Missbrauch hat noch mehr Gesichter, viel mehr als Penetration und Vergewaltigung.
Kinder werden sexuell stimuliert, werden zu sexuellen Handlungen an der Frau oder an anderen Kindern aufgefordert, werden in erniedrigenden Posen fotografiert, gefilmt, müssen sich selbst Filme oder Fotos anschauen, Gegenstände werden eingeführt, Kinder werden gefoltert und verkauft.

Das können auch Frauen - und sie tun es auch
- und zwar nicht nur als Mittäterinnen!

Über Mütter, die wissen dass ihre Kinder missbraucht werden, und die sich durch ihr Schweigen schuldig machen, möchte ich hier nicht weiter eingehen, obwohl auch diese Frauen als (Mit-)Täterinnen zu bezeichnen sind.

Die Folgen für das erwachsene Opfer sind verheerend und dabei gibt es keinen Unterschied, ob der Täter männlich oder weiblich war.
Nur, über so Unglaubliches zu reden, fällt besonders schwer und ist dennoch unerlässlich, um die Seele endlich von dem zerstörerischen Geheimnis zu befreien.

Lasst es nicht länger Tabu bleiben, traut Euch, an einem Thron zu wackeln !



Dagmar Minor, Schotterblume.


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