Kinder missbrauchter ElternEin heißes Thema, ich weiß… Aber es darf uns nicht zu heiß sein und immer wieder fallengelassen werden, nur weil sich keiner die Finger verbrennen möchte. Jeder, der als Kind vernachlässigt wurde, Gewalt erlitten hat oder sexuell misssbraucht wurde und später selbst Kinder bekommen hat, jeder also, der heute Vater oder Mutter ist und eine solch schlimme Biografie in seinem Rucksack mit durchs Leben schleppt, ist von dieser Thematik betroffen – mehr oder weniger massiv. Manchmal Blindheit, aber meist doch eher ganz viel innere Pein, schlechtes Gewissen, Scham und Wut musste ich diesbezüglich schon in meiner Praxis miterleben, wenn Männer und Frauen erkannten, dass sie nicht die Eltern waren, nicht die Eltern sein konnten, die sie so gerne für ihre Kinder gewesen wären. Dass sie es nicht sein konnten, weil ihr eigener Missbrauch und seine Folgeerscheinungen den Weg zwischen ihnen und ihren Kindern versperrt hat. Nicht wenige sind vollkommen zusammengebrochen, als ihnen klar wurde, dass nicht nur sie Opfer geworden waren, sondern auch noch in nächster Generation ihre Kinder – und zwar auch ohne selbst gleiches erlitten zu haben. Dagmar Minor-Püllen Fachberaterin für Psychotraumatologie |
MechanismenDie Mechanismen der Übertragung eigener Traumata auf Kinder sind vielfältig. Wir möchten einige davon hier etwas näher beschreiben. Probleme beim Setzen von Grenzen Erziehung bedeutet auch, Kindern Grenzen zu setzen. Diese werden von Kindern auch gezielt ausgetestet. Das Erkennen von Grenzen gibt einem Kind Sicherheit und hilft ihm, sich selbst gegen seine Umwelt abzugrenzen. Kinder, denen keine Grenzen gesetzt wurden, fühlen sich manchmal noch als Erwachsener von ihren Eltern nicht wahrgenommen. Denn keine Grenzen zu setzen kann vom Kind auch so interpretiert werden, dass es seinen Eltern egal ist. Traumatisierte Eltern haben oft jedoch große Probleme damit, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Ihre eigenen Grenzen wurden im Kindesalter nicht respektiert und so wird es um vieles schwerer, überhaupt erst zu erkennen, was denn nun sinnvolle Grenzen sind und was nicht. Und wie diese Grenzen verteidigt werden können. Denn traumatisierte Menschen reagieren meist außerordentlich aggressiv, wenn sie ihren eigenen Grenzen durch andere Überschritten sehen. Auf diese Weise geben sich Menschen dann unfreiwillig als traumatisiert zu erkennen. Kinder überschreiten jedoch Grenzen, das werden alle Eltern bestätigen können. Führt dies aber zu aggressiven Reaktionen der Eltern, ist die Folge meist sinnloser Streit. Das Kind fühlt sich als Opfer der Aggressivität seiner Eltern und die Eltern wiederum verfallen auch in die kindliche Opferrolle und fühlen sich ihrerseits als Opfer der aggressiven Gegenreaktion ihrer Kinder. Notwendig wäre es aber, dass Eltern in der Erwachsenenrolle bleiben, gezielte, aber nicht zu enge Grenzen setzen und dem Kind auch mitteilen was passiert, wenn sie diese Grenzen überschreiten. Wichtig ist, dass das Überschreiten einer Grenze für das Kind nur die angekündigten Konsequenzen hat wie beispielsweise Taschengeldentzug, Fernsehverbot für eine gewisse Zeit oder ähnliches. Nicht weniger, aber auch nicht mehr! Rollenumkehr Für Eltern besteht leider nicht nur die Gefahr, in die eigene Kind-Rolle zurückzufallen, in die ein Mensch durch Erinnerungen an eigene, unverarbeitete traumatische Erlebnisse (sog. Trigger) sehr schnell verfallen kann. Manchmal geht das so weit, dass ein Erwachsener noch so tief in seiner Opferrolle steckt, dass er sein Kind für sein eigens Wohlergehen verantwortlich macht. Sätze wie "mir geht es sehr schlecht weil Du." prägen sich oft tief ins Gedächtnis von Kindern ein und können lebenslange Schuldgefühle hinterlassen. Solche Sätze, mit denen Eltern die Verantwortung für die eigene Rettung ihren Kindern aufbürden, gibt es in unzähligen Variationen. Beschuldigungen, Eltern können sich nicht mehr mit Freunden treffen, weil sie auf ihre Kinder aufpassen müssten oder dass sich die Eltern nichts mehr leisten könnten weil ihre Kinder alle Ressourcen aufbrauchen usw. sind leider recht verbreitet. Ängstlichkeit Ängste sind eine Traumafolge. Diese Ängste haben Einfluss auf unser Verhalten, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. Oft erscheinen uns Verhaltensweisen, die durch unsere Ängste bestimmt werden, als vernünftiges Verhalten. Dass dem nicht so ist können nur andere erkennen, die weniger oder im Idealfall gar keinen Ängsten unterliegen. Ängste können von Eltern auf ihre Kinder übertragen werden, denn Kinder lernen von ihren Eltern, was gefährlich ist und was nicht. Eltern können ihren Kindern ihre eigenen Ängste, die Folgen der erlittenen Traumata sind, quasi einreden. Solche sog. Introjekte sind eine schwere Last, die einem Kind unbeabsichtigt aufgebürdet wird. Neue Untersuchungen stellen sogar einen Zusammenhang zwischen Angst der Eltern und Autismus bei Kindern her. Demnach haben Eltern mit Angsterkrankungen dreieinhalb mal öfter autistische Kinder. Das würde bedeuten Autismus bei Kindern wäre der Versuch, sich gegen die Ängste der Eltern abzuschotten. Der Versuch einer Selbstheilung, der allerdings selbst wieder Krankheitswert hat. Zu enge Grenzen Ängste der Eltern können den Freiraum, den ein Kind zur Entwicklung braucht, auch gnadenlos einengen. Denn ängstliche Eltern neigen dazu, den Bewegungsspielraum ihrer Kinder gnadenlos einzuengen aus Sorge um deren Sicherheit. Zudem kann ein Kind, das aus Angst seiner Eltern nicht mit den anderen zu Ausflügen oder Campingtouren darf, sich auch von der Gemeinschaft seiner Freunde ausgeschlossen fühlen. Manche Kinder leiden unter solchen Dingen still. Andere rebellieren. Besonders, wenn sie in die Pubertät kommen. Bindungsstörungen Kinder brauchen eine stabile Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson, um sich gesund entwickeln zu können. Das ist allgemein bekannt. Traumatisierte Menschen denken oft, sie müssten für ihre Kinder stark sein und dürften niemals Schwäche zeigen, um ihren Kindern diese stabile Bindung zu geben. Dies ist jedoch ein Trugschluss, denn Kinder merken, wenn Eltern ihnen etwas vorspielen, was nicht den Tatsachen entspricht. Übrig bleibt für das Kind in so einem Fall die Botschaft: "Meine Eltern vertrauen mir nicht!" So eine Botschaft ist für ein Kind oft viel schlimmer als die Tatsache, dass es einem Elternteil oder vielleicht dem alleine erziehende Elternteil manchmal nicht gut geht, denn das verstehen sie aus eigener Erfahrung auch schon in relativ jungen Jahren. Einem Kind etwas vorzuspielen ist jedoch Vertrauensbruch und kann eine gesunde Beziehung zu Kindern zerstören. Daneben gibt es jedoch noch andere Traumafolgestörungen wie beispielsweise die Borderline- Störung, die Beziehungen zu anderen Menschen generell schwierig machen. Zu Kindern natürlich auch. Mangelndes Einfühlungsvermögen Traumata, welche nicht oder noch nicht vollständig aufgearbeitet wurden, können dazu führen, dass eine der wichtigsten Erziehungsgrundlage teilweise (als blinder Fleck) oder im schlimmsten Fall sogar ganz, fehlt. Viele von uns mussten ja leider erleben, dass wir von unseren Eltern in schlimmen Situationen alleine gelassen wurden. In Situationen, in denen unsere Eltern oder ein Elternteil kein Mitgefühl für uns aufbrachte und uns im Stich ließ. Situationen, wo Außenstehende nur sagen "Wie kann sie/er nur dieses Kind so im Stich lassen? Wie hat sie/er mit ihrem/seinem Kind kein Mitgefühl und belässt es in dieser Gewalt- oder Missbrauchssituation?" Dieses Phänomen ist ja erforscht und hinreichend bekannt, oft wird es als "blinden Fleck" bezeichnet, den Eltern haben können, wenn sie ihre eigenen Traumata noch nicht oder noch nicht vollständig aufgearbeitet haben. Die Entwicklung von Empathie in traumatisierten Eltern ist unverzichtbar, um eine ausreichende Bindung zwischen der "Welt der Eltern" und der "Welt ihrer Kinder" zu schaffen. Denn "absolutes Einfühlungsvermögen" der Eltern ist die Hauptgrundlage für das Entstehen einer sicheren Eltern-Kind-Bindung und ein Schutz vor Entwicklungsproblemen oder Traumatisierungen der eigenen Kinder. Kinder und Jugendliche handeln meist nicht in der Motivation, ihre Eltern zu verletzen oder sie zu ärgern. Sie haben andere Motivationen, dessen Erkenntnis für deren Entwicklung, aber auch für den Umgang mit ihnen, äußerst wichtig ist. Also sollte aus unserer Sicht heraus eine der wichtigsten Fragen bei der Trauma- Aufarbeitung von Eltern immer heißen: Was hilft den Eltern dabei, dass sie trotz Traumatisierung zu einfühlsamen Entwicklungsbegleitern ihrer Kinder werden können? Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr verändern. Die Folgen im Heute aber auf jeden Fall. Daher ist nur jedem zu raten: "Lerne, zu fühlen!", auch wenn Gefühle zunächst sehr schmerzen können, manchmal fast unerträglich schmerzhaft erscheinen, oder sie sich noch im Unbewusstem verstecken. "Laufe Triggern nicht davon", auch wenn es schwierig und kraftaufwendig ist. "Schaffe Dir Zeit und Raum, um Dich mit ihren Ursachen aus der Vergangenheit auseinander zu setzen". "Trigger" können sich wohl nur auf diese Weise endgültig auflösen, und bedingungslose Empathie für die eigenen Kinder kann entstehen. Erst eine große "emotionale Palette an Gefühlen" kann allen Betroffenen und auch ihren Kindern das "wahre Leben" ermöglichen, und eine "Trauma- Übertragung" auf unsere Kinder, und auf weitere Generationen nach uns verhindern. Selbstzentriertheit Wenn ein Mensch krank ist, richtet sich seine Aufmerksamkeit vor allem darauf, wieder gesund zu werden. Das ist ein ganz natürlicher Mechanismus. Die Überwindung von Traumata ist jedoch nicht in Wochen zu machen, sondern dauert Jahre. Jahre, während denen traumatisierte Eltern oft fast ausschließlich mit sich selbst und ihren Bemühungen um Heilung beschäftigt sind. Manchmal werden dadurch die Bedürfnisse von Kindern wenig oder im schlimmsten Fall gar nicht wahrgenommen. Ein Kind kann sich dadurch sehr allein gelassen fühlen. Sich deswegen gar nicht um Heilung zu bemühen wäre allerdings der falsche Weg, denn dann dauert dieser Zustand der Seblstzentriertheit für immer an. Suchtverhalten Süchte sind auch eine Traumafolge, auch wenn auch andere Menschen ihnen verfallen können. Ein erlittenes Trauma begünstigt das jedoch. Es gibt Süchte, wie beispielsweise das Rauchen, unter denen Kinder auch körperlich leiden und sogar Krankheiten wie Asthma entwickeln können. Jedenfalls, wenn Eltern in der Wohnung rauchen. Andere Süchte wie die Alkoholsucht und andere Drogen verändern die Persönlichkeit der Eltern viel mehr. Das kann so weit gehen, dass ein Kind seine Eltern im berauschten Zustand im übertragenen Sinne nicht wiedererkennt, was eine stabile Beziehung zwischen Eltern und Kind schwierig macht. Es gibt auch nicht stoffgebundene Süchte wie Internetsucht, Facebook- Sucht etc., die zwar keine körperliche Veränderung bewirken, deren psychische Auswirkungen aber gleich sind. Süchte haben u.a. die Wirkung, dass alles andere der Droge untergeordnet wird. Das kann auch so ausgedrückt werden, dass alles andere im Vergleich zur Droge unwichtig wird. Inklusive der Kinder, die das natürlich auch bemerken und für die das oft sehr schwer zu ertragen ist. |
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